GRADO

  • Gustav Ernst
  • Theater Drachengasse und Bar&Co
  • Bar&Co, 2. – 13. November 2010, Di-Sa um 20 Uhr
URAUFFÜHRUNG DER DRAMATISIERUNG DES GLEICHNAMIGEN ROMANS
Eine Produktion von Theater m.b.H.


Keine Frau ist letztlich meinen Phantasien gewachsen. Aber meine Phantasien sind letztlich jeder Frau gewachsen. Verstehen Sie?

Ein verstecktes Fischrestaurant im alten Hafen eines Mittelmeerstädtchens. Ein Mann in den Fünfzigern soupiert mit seiner neuen Urlaubsbekanntschaft. Doch statt nach den kulinarischen weitere Genüsse im intimen Ambiente eines Hotelzimmers anzusteuern, unterbreitet der potentielle Liebhaber seinem Gegenüber – in einer zunehmend exhibitionistischer werdenden Suada – die Vorzüge eines Geschlechtslebens ohne Geschlechtsverkehr …
Eine zum Tränenlachen komische Schilderung der Sexualphantasien und -ängste eines eloquenten Machos.


Dauer: 1:20

theatermbh.at

Souper mit Liebestöter Johanna Tomek gibt zu ihrem 70er bei der Uraufführung von Gustav Ernsts „Grado“ in der Drachengasse einen melodramatischen Macho. Figuren in Gustav-Ernst-Stücken sind arme Tröpfe. Sie sind ganz aus Fleisch und Blut, körperlich bis in die Zehenspitzen und doch immer wieder dazu verdammt, ihre libidösen Probleme mit dem Kopf zu bewältigen. Das führt zu bohrenden Monologen, in denen notgedrungen viel über Sex gesprochen, dieser aber tunlichst vermieden wird. Neuerdings passiert wieder nichts: Der Protagonist des jüngsten Stücks Grado, vom Theater mbH in der Wiener Drachengasse uraufgeführt, sitzt in ebenjenem Adria-Ort mit seiner Urlaubsbekanntschaft beim Abendessen. Er führt dort ein vor allem sich selbst anregendes Gespräch (mit sich selbst), und zwar darüber, wie es denn wäre, nach dem Souper sexuell miteinander zu verkehren. Grado ist eine Dramatisierung des 2004 erschienenen gleichnamigen Romans. Johanna Tomek, die in diesen Tagen ihren 70. Geburtstag feiernde Off-Theater-Prinzipalin, spielt diese Hosenrolle als abgeklärter Macho mit grandios dunkler Stimme und perfekter Intonation. Sie kennt Gustav-Ernst-Stücke seit jeher, einige davon hat sie selbst inszeniert (Blutbad, Casino u.a.) und den Wiener Schriftsteller und kolik-Herausgeber mittlerweile zum „Hausautor“ der 1983 gegründeten Theatergruppe erklärt. Mit Groucho-Marx-Bart und deutlich unromantischer Kleidung (damit das klar ist!) sitzt Tomek in einem Faltsessel auf der Bühne und redet von den Misslichkeiten des eventuell bevorstehenden Geschlechtsverkehrs: Achselschweiß, locker sitzende Zahnprothesen und dergleichen. Der Monolog schraubt sich in einem fallweise an Werner Schwab erinnernden technoiden Vokabular (z. B. Fleisch als zu liebendes „Material“) in sämtliche Negativfantasien hinein, bis dieser Sex irgendwann so unannehmbar scheint, dass der redselige Herr ganz auf ihn zu verzichten gedenkt, sprich: danke für die Masturbationsvorlage. Das Gegenüber hat hier nichts zu melden, versteht sich. Hier geht es um die imaginäre Lösung eines imaginären Problems. Und umso sinnfälliger ist auch die geschlechtlich konträre Besetzung in dieser Inszenierung ohne Regisseur. Sie erzeugt eine Distanz zur Figur, macht sie erst richtig kenntlich. Wie wenig Realität dieses Abendessen beansprucht, das zeigt Werner Schönolts Bühne: Ein abstraktes Aquarelltriptychon verweist kläglich auf das in der Nähe rauschende Meer. Und noch kläglicher spielt ein Akkordeonspieler (Paul Winter) seine kurzen traurigen Melodien, als wären es Seufzer der schonungslos adressierten Dame. Und Monsieur (Tomek) himself? Keine Spur von Dinner-Outfit, weil auch keine Spur von Dinner: Er steckt breitbeinig in zerknitterten Bermudas und kippt in seinem Strandsessel nichts außer mitgebrachtem Campari. Diese szenische Eigenständigkeit hielt den Text gut und weitgehend mit Spannung in Schwebe. Die Hand eines Dramaturgen (wenn schon keines Regisseurs) könnte hier allerdings noch kleine Tempowunder vollbringen. DER STANDARD, 21.09.2010

Grado“-Uraufführung in Wien: Macho mit „masturbatorischem Weltbild“ Wien (APA) - Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Ähnlich verhält es sich bei Gustav Ernsts Roman „Grado“, dessen Dramatisierung gestern, Donnerstagabend, im Theater Drachengasse in Wien uraufgeführt wurde. Allerdings bildete hier ein ausgiebiges Abendessen lediglich den Rahmen für den Monolog eines gealterten Machos und die Liebe wurde durch Sexfantasien ersetzt. Als Glücksfall erwies sich die Darstellung des Machos durch Johanna Tomek, die bei der Premiere vollends überzeugte. Als fiktives Gegenüber des Namenslosen diente eine junge, attraktive Urlaubsbekanntschaft, deren nicht ausgesprochenes Angebot einer gemeinsamen Nacht er gleich zu Beginn ablehnte. Dies würde doch nur in einem Desaster enden, vor allem für ihn. Wie könnte die „gnädige Frau“ auch nur seine zahlreichen körperlichen Unzulänglichkeiten übersehen, angefangen beim Achselschweiß über die Zahnprothese bis zu seinen von Nagelpilz befallenen Zehen. Ihr potenzieller Ekel vor seinem Körper würde dafür sorgen, dass seine Erregung „ein plötzliches Ende finden würde“. Fragte man sich schon zu diesem Zeitpunkt, wie eine Frau diesen endlosen Monolog eines Verehrers nur durchstehen könnte, drifteten die Ausführungen des Machos im Laufe des Abends zusehends ins Perverse ab und erhielten einen aggressiven Unterton. Unterbrochen wurden diese „appetitlichen“ Erläuterungen von Essensszenen, eingeleitet durch Paul Winter als Akkordeonist in Frauenkleidern, der mit seiner übertrieben ernsthaften Darbietung und dem exzentrischem Spiel immer wieder für Lacher sorgte. Kulinarisch wurde kaum etwas ausgelassen, sei es ein Meeresfrüchtesalat als Vorspeise über Wildschweinkotelett und Pilzrisotto bis hin zum obligatorischen Käseteller danach. Alles leider nur im Text präsent, geschweige denn im Kartenpreis enthaltene Zuschauerverpflegung. Die absurd-komische Geschichte wurde von Johanna Tomek exzellent umgesetzt, angesichts der schieren Textmenge und der sprunghaften Assoziationen der Hauptfigur eine bemerkenswerte Leistung. Mit minimalen darstellerischen Mitteln erzielte sie eine große Wirkung, was natürlich auch an der Qualität der literarischen Vorlage lag. Einzig der ausführlichen Beschreibung einer fiktiven Sexszene am Ende fehlte es etwas an männlich-herbem Charme. Dafür erhielt der Macho mitunter eine feminine Note, die einzelne Abschnitte wunderbar zweideutig erscheinen ließ, etwa wenn der jungen Dame ein „masturbatorisches Weltbild“ näher gebracht wurde. Das Bühnenbild (Werner Schönolt), bestehend aus einem unauffälligem dreiteiligen Gemälde und einem Campingstuhl, sowie die reduzierte, aber effektive Lichtgestaltung (Reto Schubiger) trugen das Übrige zum gelungenen Abend bei. Am Ende bedankte sich der Macho für „die anregende Konversation“ und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich will endlich masturbieren können. Ich will die Wirklichkeit endlich los sein.“ Ob sich zuvor die Wirklichkeit auch tatsächlich abgespielt hat, ist zwar fragwürdig. Sicher ist aber, dass die Produktion des Theaters m.b.H. die Vorlage des anwesenden Gustav Ernst gekonnt auf die Bühne brachte, was mit verdientem und ergiebigen Applaus belohnt wurde. tt-online, 17.09.2010

Sprechen gegen den Geschlechtsverkehr Geschlechterrollenwechsel am Theater tun oft ihr Positives. So verhält es sich auch bei der monologischen Dramatisierung von Gustav Ernsts Erzählung „Grado“. Johanna Tomek spielt in Strohhut und Khakohemd einen alternden Ungustl, der im italienischen Grado außerehelichen Urlaub macht und eine Unbekannte zum Abendessen einlädt, bei dem er ihr sein Sexualleben ausbreitet. Der später mögliche Geschlechtsverkehr wird zwar besprochen, aber nicht zustande kommen, weil „sie an der Größe seines Geschlechts Anstoß nehmen könnte“ und „die Masturbation dem Geschlechtsverkehr vorzuziehen ist“. Tomek gibt mit tiefer Stimme und überzeugender Darstellung den eloquenten Macho. Ein amüsanter Abend mit Ziehharmonika-Begleitung, dem etwas Kürzung nicht geschadet hätte. FALTER 43/2010

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