GRADO

Grado“-Uraufführung in Wien: Macho mit „masturbatorischem Weltbild“ Wien (APA) - Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Ähnlich verhält es sich bei Gustav Ernsts Roman „Grado“, dessen Dramatisierung gestern, Donnerstagabend, im Theater Drachengasse in Wien uraufgeführt wurde. Allerdings bildete hier ein ausgiebiges Abendessen lediglich den Rahmen für den Monolog eines gealterten Machos und die Liebe wurde durch Sexfantasien ersetzt. Als Glücksfall erwies sich die Darstellung des Machos durch Johanna Tomek, die bei der Premiere vollends überzeugte. Als fiktives Gegenüber des Namenslosen diente eine junge, attraktive Urlaubsbekanntschaft, deren nicht ausgesprochenes Angebot einer gemeinsamen Nacht er gleich zu Beginn ablehnte. Dies würde doch nur in einem Desaster enden, vor allem für ihn. Wie könnte die „gnädige Frau“ auch nur seine zahlreichen körperlichen Unzulänglichkeiten übersehen, angefangen beim Achselschweiß über die Zahnprothese bis zu seinen von Nagelpilz befallenen Zehen. Ihr potenzieller Ekel vor seinem Körper würde dafür sorgen, dass seine Erregung „ein plötzliches Ende finden würde“. Fragte man sich schon zu diesem Zeitpunkt, wie eine Frau diesen endlosen Monolog eines Verehrers nur durchstehen könnte, drifteten die Ausführungen des Machos im Laufe des Abends zusehends ins Perverse ab und erhielten einen aggressiven Unterton. Unterbrochen wurden diese „appetitlichen“ Erläuterungen von Essensszenen, eingeleitet durch Paul Winter als Akkordeonist in Frauenkleidern, der mit seiner übertrieben ernsthaften Darbietung und dem exzentrischem Spiel immer wieder für Lacher sorgte. Kulinarisch wurde kaum etwas ausgelassen, sei es ein Meeresfrüchtesalat als Vorspeise über Wildschweinkotelett und Pilzrisotto bis hin zum obligatorischen Käseteller danach. Alles leider nur im Text präsent, geschweige denn im Kartenpreis enthaltene Zuschauerverpflegung. Die absurd-komische Geschichte wurde von Johanna Tomek exzellent umgesetzt, angesichts der schieren Textmenge und der sprunghaften Assoziationen der Hauptfigur eine bemerkenswerte Leistung. Mit minimalen darstellerischen Mitteln erzielte sie eine große Wirkung, was natürlich auch an der Qualität der literarischen Vorlage lag. Einzig der ausführlichen Beschreibung einer fiktiven Sexszene am Ende fehlte es etwas an männlich-herbem Charme. Dafür erhielt der Macho mitunter eine feminine Note, die einzelne Abschnitte wunderbar zweideutig erscheinen ließ, etwa wenn der jungen Dame ein „masturbatorisches Weltbild“ näher gebracht wurde. Das Bühnenbild (Werner Schönolt), bestehend aus einem unauffälligem dreiteiligen Gemälde und einem Campingstuhl, sowie die reduzierte, aber effektive Lichtgestaltung (Reto Schubiger) trugen das Übrige zum gelungenen Abend bei. Am Ende bedankte sich der Macho für „die anregende Konversation“ und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich will endlich masturbieren können. Ich will die Wirklichkeit endlich los sein.“ Ob sich zuvor die Wirklichkeit auch tatsächlich abgespielt hat, ist zwar fragwürdig. Sicher ist aber, dass die Produktion des Theaters m.b.H. die Vorlage des anwesenden Gustav Ernst gekonnt auf die Bühne brachte, was mit verdientem und ergiebigen Applaus belohnt wurde. tt-online, 17.09.2010

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