Das normale Leben

  • oder: Körper und Kampfplatz
  • Christian Lollike
  • Theater Drachengasse
  • 4. März – 6. April 2013 (außer 5. April)
    Di-Sa um 20 Uhr


Österreichische Erstaufführung

Eigenproduktion Theater Drachengasse






Ich bin einfach nur da. Ich spüre einen Augenblick voller Möglichkeiten. Aber dann stehen sie plötzlich da. Sie haben dich mit Google Earth und Google Latitude und Google sonst was gefunden und sie haben zwei Moderatoren mitgebracht.



Drei Personen wollen eine ganz normale Geschichte erzählen. Eine Huldigung an die Lebenslust. Doch wann immer sie zu erzählen beginnen, drängt sich das Gefühl, verfolgt zu werden, in den Vordergrund. Vom Bankmann, der sie vor der Waschmaschine schützen will, die aus dem 4. Stock fallen könnte. Von den Fettfalten, in denen sich Kuchenkrümel verstecken. Von Fernsehsendungen, die ganz normale Menschen mit neuen Persönlichkeiten auffrisieren.



Und von der inneren Stasi, ins Leben gerufen von der Aufsicht für seelische Angelegenheiten, die ihnen ins Ohr flüstert: Zahnseide nicht vergessen, Fahrradhelm aufsetzen, Handy vom Ohr weghalten.



 



Regie: Hans Peter Kellner

Bühne/Kostüm: Vanessa Achilles

Regieassistenz: Andrea Ozabalova

Es spielen: Thomas Groß, Katrin Grumeth, Karin Yoko Jochum

 



Rechte bei: Felix Bloch Erben Berlin

Aus dem Dänischen von: Gabriele Haefs



 



 





Hörprobe - "Das normale Leben"



 


Wenn die Freiheit an innere Grenzen stößt

Drei Menschen, ein Ziel. Sie wollen eine "ganz normale Geschichte" erzählen. Eine Geschichte über das Leben an sich. Doch das ist gar nicht so einfach, denn irgendwie gibt es da etwas, das sich die "innere Stasi" nennt. So ein tiefes Gefühl der Bedrohung. Einer Bedrohung durch das Leben, durch den Terrorismus, durch Regeln und Kontrollprinzipien. Und durch den eigenen Körper, der längst zum Kampfplatz mutiert ist.

Mit "Das normale Leben oder: Körper und Kampfplatz" hat der dänische Autor Christian Lollike ein starkes, auch mit Klischees spielendes Stück zum Thema Freiheit und Selbstbestimmung geschrieben, das Regisseur Hans Peter Kellner im Wiener Theater Drachengasse sehr konsequent umgesetzt hat.

Drei Stühle, Spiegelwände (Bühne: Vanessa Achilles) und drei intensive Darsteller - mehr bracht es nicht, um Lollikes Drama lebendig zu machen, um die großen und kleinen Fragen des Daseins abzuhandeln. Es ist Katrin Grumeth, Thoms Groß und  vor allem Karin Yoko Jochum zu danken, dass dieses auch kopflastige Spiel in den Bann zieht. Ihnen gelingt es furios, echte Charaktere zu formen, deren (angedeutete) Schicksale berühren.

KURIER, 6.3.2013


Der permanente Kampf gegen die "innere Stasi"

Verunsicherung hat es immer gegeben, Verunsicherung und Ängste. Anforderungen wurden gestellt von "Halt Dich gerade!" bis "Ein richtiger Mann weint nicht!". Es ging um Gebote und Verbote, nicht immer bequem und angenehm, aber wenigstens geradlinig. Heute muss alles perfekt sein und auf Sicherheit muss geachtet werden: auf Sicherheit bis zur totalen persönlichen Einschränkung. Denn es geht ja gar nicht um Sicherheit, um Wohlbefinden, Glück, es geht um Kontrolle: Kontrolle von außen und innen.

Die "innere Stasi" nennt es der junge Mann in Christian Lollikes rasantem Stück "Das normale Leben" oder "Körper und Kampfplatz", das jetzt im Theater Drachengasse seine österreichische Erstaufführung hatte. Wobei die "innere Stasi" ja nichts anderes als eine seltsame, oberflächliche Form des Gewissens ist, die sich zum Teil mit reichlich unwichtigen Dingen beschäftigt.

Drei junge Leute (schauspielerisch hervorragend Katrin Grumeth, Karin Yoko Jochum, Thomas Groß) wollen vom ganz normalen Leben erzählen und gleiten bei jedem Versuch sehr rasch ins Aberwitzige ab. Denn was Normalität ist, wissen sie längst nicht mehr. Brillant geführt vom Regisseur Hans Peter Kellner halten sie den Menschen einen Spiegel vor, bringen die Zuschauer zwar vordergründig zum Lachen, schockieren in Wahrheit aber zutiefst. Die fantasievolle Ausstattung von Vanessa Achilles unterstreicht den Eindruck eines Daseins ohne Bodenhaftung.

WIENER ZEITUNG, 6.3.2013


Im Amt für Seelensicherheit

Christian Lollikes Stück "Das normale Leben" in Wien

Wien - Das Horrorstück der Stunde stammt von einem dänischen Autor. Ausgerechnet, wähnt man die sympathischen Dänen doch unter dicken Wohlstandsdaunen begraben.

In Das normale Leben (Untertitel: Körper und Kampfplatz) des in Kopenhagen arbeitenden Regisseurs und Dramatikers Christian Lollike (40) sitzen drei Anfangdreißiger beim trauten Schwätzchen zusammen. Eine der beiden Damen bekennt: "Ich fühle mich verfolgt." Ein allgemeines Rätselraten hebt an. Der junge Mann hat schließlich die passende Erklärung parat: "Das ist die innere Stasi!" Mit einem Schlag ist das Wertefundament der kleinen Latte-Macchiato-Gemeinschaft gesprengt, das Handeln wie gelähmt.

Was nun beginnt, gleicht einer szenischen Gewissenserforschung. Hans Peter Kellner hat sie aus Anlass der Erstaufführung im Wiener Theater Drachengasse wunderbar federleicht ins Szene gesetzt.

Drei Wohlstandsbürger haben den Anpassungsdruck, den eine namenlos bleibende Zwangsmacht mit Gesetzen und Geboten auf sie ausübt, komplett verinnerlicht. Jede Regung ist von Angst kontaminiert. Lollikes unscheinbarer Text klebt am Alltag: A, B und C (Katrin Grumeth, Karin Yoko Jochum und Thomas Groß) stellen ihre Erfahrungen wie Beweisstücke aus. Jeder tut sein Bestes. Das Gewissen leidet bei jedem Bissen Torte Höllenqualen. Man heuchelt im Umgang miteinander Liberalität und Verständnis und möchte doch am liebsten kotzen. Lollikes Überlebenskünstlern ergeht es ein bisschen wie jenem Kafka-Helden, der eines morgens als abstoßender Käfer aufwacht.

Lollikes Konzept der "inneren Stasi" ist ein höhnisches Echo auf die alten Disziplinierungsideen, wie sie Michel Foucault in all ihrer Unausweichlichkeit beschrieben hat. Meldepflichtig sind die inneren Sicherheitskräfte bei der "Aufsicht für seelische Angelegenheiten". Während die alten Zwangsmächte sich noch der Körper bemächtigten, um die Menschen von außen zu disziplinieren, so lässt die moderne Kontrollgesellschaft ihre Teilnehmer für sich arbeiten. Zwischen " Push-ups, Sit-ups, Spinning, Springen und Yoga" bleibt kaum noch Zeit, Mut zu schöpfen. Die Grenzlinie zwischen Arbeit und Freizeit ist ohnedies verwischt.

Der Theatermacher Lollike hat in Lima (Peru) gearbeitet und in Aarhus szenisches Schreiben studiert. Seine schmerzhaften Gesellschaftsbeobachtungen kommen ohne jede Besserwisserei daher. Die Idee zu Das normale Leben sei ihm gekommen, als er seine Kinder beim Älterwerden beobachtete. Lollike hat vor einiger Zeit auch ein Stück über den rechtsradikalen Massenmörder Breivik geschrieben. Von diesem freundlich wirkenden Dänen wird man noch hören.

DER STANDARD, 7.3.2013


Das normale Leben – Das Wiener Theater Drachengasse zeigt Christian Lollike

Die Bühne ist eingepfercht zwischen zwei schräg gegenüberstehenden Sitzreihen. Wer sie betritt, muss sich eigentlich beobachtet fühlen. In der Mitte stehen drei rote Sessel, an der Decke schwebt bedrohlich eine gespiegelte Salatschüssel. Die Rückwand besteht aus drei weißen Flächen, die durch zwei verzerrende Spiegel verbunden sind. Die Flächen werden später bemalt und dienen als Fenster in eine versperrte Welt. Selten hat die Enge der Bühne im Theater Drachengasse so sehr auf den Stoff gepasst: Christian Lollikes Stück "Das normale Leben", das sich mit dem Belügen des eigenen Ichs auseinandersetzt. Einer Normalität, die geprägt von Angst und Kontrolle ist.

Aufsicht für seelische Angelegenheiten

In Hans-Peter Kellners österreichischer Erstaufführung entfaltet sich eine fragmentarische Reflektion über die moderne Gesellschaft zwischen Arbeit, Familie und den eigenen Idealen. Immer wieder wird der Versuch eine normale Geschichte zu erzählen von vorne beginnen; immer wieder wird er scheitern. Der Grund dafür: ein paranoides Gefühl der Verfolgung. Die Figuren versuchen herauszufinden, wer oder was sie da verfolgt. Die Antwort kristallisiert sich schon früh heraus: Es ist die innere Stasi. Eine Aufsicht für seelische Angelegenheiten, die von einer inneren Kontrollsucht regiert wird und deren Motor die Angst vor dem eigenen Versagen ist. Körper, Karriere und Familie. Alles unterliegt einer Selbstkontrolle, die ihren Ursprung in einem medial und genetisch eingeimpften Verfolgungswahn hat.


Abwechselnd wird dieser innere Kontrollzwang anhand einer modernen Familie auf zwei Ebenen beleuchtet. Einmal unterhalten sich dabei eher undefinierte Figuren über die innere Stasi und dieses unbestimmte Gefühl, verfolgt zu werden – verhandeln also das Thema theoretisch. Dann wieder werden fragmentarische Szenen einer Beziehung gezeigt, die unterschiedliche Ausprägungen der inneren Eigenüberwachung praktisch vorführen. Dabei schlüpfen Karin Yoko Jochum, Katrin Grumeth und Thomas Groß in verschiedene Rollen, die alle immer zugleich individuell und doch allgemeingültig wirken. Und das ist eine Folge der inneren Stasi und zugleich ihr Wesen: "Es ist normal individuell sein zu wollen," heißt es später und die grauen Töne des Kostüms fügen sich perfekt in dieses Konzept.

Den eigenen Körper bewerten

Zwei Versäumnisse trüben den ansonsten positiven Gesamteindruck. Zum einen bewegt sich das Stück oft im Bereich von 30-Something-Klischees. Der Griff zum Klischee ist ja nicht unbedingt verkehrt bei der Darstellung von Normalität. Allerdings wirkt beispielsweise die besondere Betonung des Themas Körperfett etwas unmotiviert, da es medial derart überstrapaziert ist, dass es sofort zur bloßen Komik verkommt. Da rennt eine Frau lange Zeit im Kreis und muss einer dicken Dame beim Essen zusehen, da zerbricht eine andere Frau, weil sie einer Torte nicht widerstehen konnte. Natürlich mag der unterdrückte Drang nach Essen ein gutes Bild für die erzwungene Disziplinierung sein. Aber in einer einfallsreichen Passage liefern die Figuren selbst andere Themenvorschläge, denen man auch ausführlicher hätte folgen können. Abwechselnd wird da beschrien, was man nicht vergessen darf: Zahnseide, schädliche Stoffe in Nahrungsmitteln, Wasser trinken und so weiter. Die innere Stasi tritt bei viel mehr als nur Ernährung auf dem Plan, doch das Essen passt wohl zu gut in die Derbheit der Worte und des Humors, um es ignorieren zu können.

Die Grenzen der Körperlichkeit

Das Schauspieltrio spielt bestmöglich gegen diese Klischees an; insbesondere Thomas Groß vermag mit zunehmender Dauer der Aufführung immer mehr zu überzeugen. Eine Schlüsselszene zeigt ihn vor dem Spiegel stehend, als er seinen eigenen Körper mit Schulnoten bewertet. Dabei stellen sich zugleich die Figur, der Schauspieler und der Mensch aus. Und es wird klar, dass der Zuschauer selbst ein Beobachter ist.

Und darin liegt ein weiteres Versäumnis: Der Gefängnisturm, der alles sieht und von allen gesehen wird, ist nämlich auch im Theater präsent. Doch das Potenzial, die Beobachter-/Beobachtungsposition auch auf den Zuschauer anzuwenden, wird in der Inszenierung von Kellner nicht aufgegriffen. Stattdessen verliert die Salatschüssel, sobald sie als solche bezeichnet wurde, ihre Bedrohlichkeit, wird der Zuschauerraum abgedunkelt und man vermag sich sicher in seinem Sitz einzumummeln. Am Ende findet das Stück seinen Anker in der Normalität. Alle Auswege aus dieser Welt scheitern. Urlaub, Zeitreisen, Selbstmorde: Die innere Stasi findet dich überall. Es bleibt nur noch die Flucht in die eigene Animalität. Bis man an die Grenzen seiner Körperlichkeit stößt.

nachtkritik.de, 5.3.2013


Überforderte Menschen!

Das Theater Drachengasse zeigt bis 6. April die österreichische Erstaufführung von Christian Lollikes "Das normale Leben oder: Körper und Kampfplatz" - ein Stück über die Suche nach Individualität und die Leere im Leben jedes Einzelnen.

Christian Lollike, einer der profiliertesten Dramatiker Dänemarks, huldigt in seinem Stück (2011 am Teater Aarhus in Dänemark uraufgeführt) "Das normale Leben oder Körper und Kampfplatz" seiner Lust, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Zwischen Meta-Fiktion und berührenden Geschichten beschreibt er die Suche nach Individualität, den Wahn um den perfekten Körper, die Angst vor dem Arbeitsdruck und bringt die Leere des postmodernen Lebens auf den Punkt.

Drei Personen (Katrin Grumeth, KarinYoko Jochum und Thomas Groß) haben die Aufgabe, das Glück und die Freiheit zu feiern. Sie entdecken dabei aber, dass sie überall beobachtet werden.

Eindrucksvoll spielen die Darsteller in der Regie von Hans Peter Kellner (Bühne, Kostüm: Vanessa Achilles): So erlebt jede der drei Figuren verschiedene Formen der Kontrolle, die sie davon abhalten, aus der Spur zu geraten und ihr Leben zu leben.

KRONENZEITUNG, 6.3.2013


Spielplan Januar 2022