BRENNENDES HAUS
- von Anaïs Clerc
- Österreichische Erstaufführung
- Theater Drachengasse
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6. – 25. Oktober und 4. – 15. November 2025, Di–Sa um 20 Uhr
Keine Vorstellungen am 14., 23. und 24. Oktober 2025
Jurypreis Nachwuchswettbewerb 2024
Da wo sie herkommt, fallen die Krähen vom Himmel, das Fleisch wird geschnetzelt, gesät und gemäht wird nicht mehr und / wo sie hinwill sagen sie, werden musst du und wenden sich trotz Diversity ab bei dem Geruch nach Gülle.
Die Kleinste, der Mittlere und der Größte haben ein zerrüttetes Verhältnis. Die Tochter, eine junge Frau, hat sich vom abwesenden Vater abgewendet, um ihrem Traum zu folgen und Schauspielerin zu werden. Unverständlich für ihren Vater, einen Juristen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sein Kind finanziell abzusichern. Er wollte alles anders machen als der eigene Vater, der Großvater, der ein Geheimnis in sich trug, das er mit Alkohol hinunterspülte. Nie sprach er von seiner Kindheit auf dem Bauernhof, denn Männer in dieser Familie reden nicht.
Das Bild – brennendes Haus, hat sie es damals genannt – hängt noch an der Wand, als der Großvater stirbt. Wie wieder in Kontakt treten? Zwischen den Generationen liegen Vorwürfe, Unverständnis, unerfüllte Erwartungen und Fragen.
In Anaïs Clercs Text treten drei Generationen in einen hypothetischen Dialog und finden endlich eine Sprache für das, was immer verschwiegen werden musste.
Bei aller Verdichtung ist Raum für Verschwiegenes und Unaussprechliches zwischen den Figuren, die verhärtet und zugleich zärtlich miteinander umgehen. Auf diese Weise entsteht ein ganzer Kosmos dreier Generationen – über das, was sie trennt und was sie verbindet. Unterhaltend, verstörend, abstrakt und konkret. Auslobung Jurypreis 2024
Regie, Bühne: Amelie von Godin
Kostüme: Tanja Maderner
Regieassistenz: Carlotta Wachotsch
Es spielen: Alexander Gerlini, Marie Nadja Haller, Skye MacDonald
Rechte bei S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
Dauer: 85 Minuten
Die Bagage ist immer dabei
„Brennendes Haus“ im Theater Drachengasse.
Familien in der Provinz sind ein dankbarer Stoff für Generationen von Schriftstellern. Wie erfreulich, wenn man auf einen Text trifft, der ganz in seinen Bann zieht wie „Brennendes Haus“ der Schweizer Dramatikerin Anaïs Clerc. Vergangenes Jahr verschaffte ihr dieser den Sieg im Nachwuchswettbewerb im Theater in der Drachengasse. Das 20 Minuten kurze Stück arbeitete sie nun zu einer fast eineinhalb Stunden währenden literarischen Familienaufstellung aus. In verstörenden Szenen stellt sie drei Generationen einander gegenüber. Der Großvater ist der Größte, die Enkelin ist die Kleinste. Wie ein Scharnier fungiert der Mittlere, der Sohn und Vater ist. Was diese drei Figuren eint, ist ihr Wunsch, aus den bedrückenden Verhältnissen auszubrechen. Clerc lässt dabei nichts aus. Ihre Stärke ist es, das Schreckliche nur anzudeuten. So gibt der Großvater erst im Alter Einblicke in seine düstere Jugend, als er dem übergriffigen Pfarrer zum Opfer fiel. Vor seiner Vergangenheit flieht er in sein „Traubenland“ und er liegt einem Leberschaden. Sein Sohn soll es einmal besser haben. Eine Karriere als Künstler wurde ihm verwehrt. Die Bagage ist immer dabei. Er wurde Anwalt. Die Kleinste zieht es zum Theater. Doch die Leiden ihrer Bagage, so nennt sie ihre Familie, schleppt sie wie eine erdrückende Last mit sich. Sie drückt als Einzige das Schreckliche direkt aus. Bereits als Kind bildete sie ihr Zuhause als „brennendes Haus“ ab. Regisseurin Amelie von Godin kommt mit ein paar Sesseln und einer schräggestellten Holzplatte als Bühne aus. Marie Nadja Haller verkörpert die Kleinste mit Intensität. Deutlich lässt sie die Beklemmung einer jungen Frau spüren, die um ihre Zukunft am Theater ringt. Skye MacDonald changiert genuin zwischen seinen Rollen als Vater und als Sohn. Alexander Gerlini stellt mit Verve den Großvater dar. Das Beste ist, wie dieses Trio Clercs Text zur Entfaltung bringt. Zurecht Jubel.
KURIER, 09.10.2025
Anaïs Clerc erzählt im Theater Drachengasse vom Ungesagten in Familien
Die Schweizer Autorin thematisiert in ihrem raffiniert gebauten Stück "brennendes Haus" das von Generation zu Generation geschleppte Schweigen
Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen, sagte schon Augustinus. Doch das ist gar nicht so leicht. Vor allem dann nicht, wenn Familiengeheimnisse verschwiegen werden. Dass irgendetwas nicht stimmt, hat die Tochter in Anaïs Clercs Stück brennendes Haus aber gespürt und es in das gleichnamige Bild gebannt. Es hängt im Elternhaus bzw. wird im Theater Drachengasse an die schwarze Wand projiziert. Dort leuchtet es in Zinnoberrot, Ockergelb und Kobaltschwarz.
Die in Fribourg in der Schweiz geborene Autorin, das Geburtsdatum wird wie bei vielen der jüngeren Generation penibel geheim gehalten, hat gemeinsam mit dem gesamten Team den Nachwuchswettbewerb des Theater Drachengasse 2024 gewonnen. Der in weiterer Folge entstandenen Inszenierung, die nun bis 15. November am Fleischmarkt zu sehen ist, gelingt es, die Geheimnishaftigkeit in den Dialogen mit steigender Wirkung freizusetzen.
In Amelie von Godins Regie betritt ein Mann, genannt der Größte (Alexander Gerlini), die Bühne und schleppt rauschend eine imposante Stoffbahn hinter sich herein. An dieser machen sich auch der Mittlere (Skye MacDonald) und die Kleinste (Marie Nadja Haller) zu schaffen. Sie ziehen an den Zipfeln oder hüllen sich in sie ein: Das Gewebe könnte für das viele Ungesagte stehen, das zwischen ihnen steht, denn nur allmählich gibt der Text seine Figuren, ihre Verhältnisse und ihre Konflikte miteinander preis.
Es sind Großvater, Vater und Tochter, und wie sich herausstellt, wissen sie, obwohl sie eine Familie abgeben, voneinander nur wenig. Von Godin lässt keine Embleme sozialer Zuordnung erkennen, vielmehr treten die drei wie archaische Figuren in zeitlosem Gewand (Kostüme: Tanja Maderner) ins Licht. Grau pomadisierte Haare und weißliche Wimpern lassen sie so erscheinen, als hätte man sie kürzlich aus dem Granit gehauen. Erst nach und nach werden sie warmblütig und vollbringen bemerkenswerte Sprechperformances.
Leberschaden, Traubenwelt
Da taucht plötzlich ein Gemälde vom ländlichen Leben an der Wand auf: pflücken, mähen, dreschen. Man erfährt: Der Großvater musste als Kind auf einem Bauernhof schuften, und weiter: Der Dorfpfarrer hat ihn missbraucht. Was davon die Folge war, fasst Clerc mit den Worten "Traubenwelt" und "Leberschaden" zusammen. Und zwischen allen Generationen taucht immer wieder der Mantra-Satz "Aber das hast du mir nie erzählt" auf. Vom Großvater hat auch der Vater vieles nicht erfahren. Und seine Leidenschaft fürs Malen quittierte Ersterer mit dem Satz "Eigelb ist zum Essen da"!
So circa hält es der Vater auch mit seiner Tochter, die den Schauspielberuf ergriffen hat – eine Idee zweifelhaften Glücks. Clercs Text befreit in sich mit dem Plastisch-Werden der Figuren auch zunehmend das Schelmische – eine gute Dynamik. Beispielsweise wiegt die Last der Herkunft so schwer, dass die Enkeltochter beim Vorsprechtermin im Theater provokant sagt, sie hätte gleich mit dem Traktor vorfahren sollen.
brennendes Haus ist ein Stück über die Gräben zwischen den Generationen. Und man kann nach dieser österreichischen Erstaufführung nicht ganz sicher sein, ob es die Enkelgeneration besser machen wird. Ein Ratschlag des britischen Dichters Evelyn Waugh ist sicher nicht verkehrt: "Die jungen Menschen von heute sollten gelegentlich daran denken, dass sie die Alten von morgen sein werden."
DER STANDARD, 08.10.2025
Malen statt Sprechen
Weg, weg, weg: Jede Generation verlässt die vorherige. Geredet wird nicht miteinander, sogar der Dialog, den „die Kleinste“ (Marie Nadja Haller) und ihr Vater, „der Mittlere“ (Skye MacDonald), nach dem Tod „des Größten“ (Alexander Gerlini) führen, bleibt hypothetisch. „brennendes haus“ heißt ein abstraktes Gemälde in ihrem Haus, und es gibt auch dem Stück der Schweizerin Anaïs Clerc seinen Titel. Ein Entwurf dazu gewann 2024 den Drachengasse-Nachwuchsbewerb, Amelie von Godin inszeniert mit sicherer Hand die abendfüllende Version. Bevor es gegen Ende arg familientherapeutisch wird, punktet die Aufführung mit bildstarker Sprache, Musikalität und einem großteils versatilen Ensemble.
FALTER: Woche 42/2025, 14.10.2025
Ein großes schiefes Holzbrett dominiert die Bühne – Rutsche, einfach Symbol für schiefe Ebene oder für in der Versenkung Verschwindendes, im Verborgen Gehaltenes, versunkenes Dach einer Holzhütte.
Um niemals Gesagtes, nicht einmal Erahntes dreht sich das ca. 1½-stündige, immer wieder beklemmende Stück „Brennendes Haus“. Mit einer kurzen Entwurfs-Version des Textes von Anaïs Clerc gewann das Team einen der Nachwuchspreise beim Bewerb in der vorigen Saison zum Thema „Stadtplan oder Wanderkarte“.
Bedrückend die Atmosphäre in einem Setting, das ein Haus auf dem Lande suggeriert. Namenlose drei Protagonist:innen, nur Die Kleinste (Marie Nadja Haller), Der Mittlere (Skye MacDonald) und Der Größte (Alexander Gerlini) genannt. Letztere schleppt sich zu Beginn mit einer elendslangen Stoffbahn (Kostüme: Tanja Maderner) auf die Bühne rund um das Brett. Nicht nur er, sondern alle drei werden sich darin einhüllen.
Das (Kinder-)Bild
Wo ein rechteckiger Lichtfleck an die Wand projiziert ein Fenster simuliert, taucht später ein Bild auf – abstrakt, an eine frühe Kinderzeichnung erinnerndes Gemälde, das unschwer ein brennendes Haus erkennen lässt. Angefertigt von der Kleinsten in ihrer Kindheit. Sie hat den Hof verlassen, ist in die Stadt gezogen, um Schauspielerin zu werden. Wo sie beim Vorsprechen mit klischeebeladenen Vorurteilen gegen das „Landei“ konfrontiert wird. Und sie zur fragenden Feststellung veranlasst, ob sie dann nicht gleich mit dem Traktor anfahren hätte können oder sollen.
Sie kommt auf Heimatbesuch, weil der Größte gestorben ist. Hier empfängt sie, wovor sie eigentlich geflüchtet ist: Drückendes Schweigen, von erst nur spärlich tröpfelnden Worten und Sätzen, die oft aber mehr nichts als etwas sagen. Samt einer vorwurfsvollen Atmosphäre, warum sie denn weggegangen sei: „Das ist nicht die Zukunft, die wir uns für dich ausgedacht haben.“ Ihre offene Antwort: „Eine von euch zu sein, das wäre nicht mehr ich!“
Eigelb
Der Mittlere – schon lange in der Doppelrolle als Vater einer- und Sohn andererseits – scheint, ebenfalls ambivalent, nicht verstehen zu wollen, warum die Tochter nicht die Traditionen fortsetzt. Recht spät wird klar, dass auch er einen anderen Lebensentwurf im Sinn hatte. Übrigens ebenfalls künstlerisch, er wäre gern Maler geworden. Doch da hatte der Größte nur lapidar postuliert, Eigelb sei nicht zum Malen, sondern zum Kochen und Essen da.
Wein statt Weinen
Und doch ist die Sache nicht so linear. Denn nach und nach wird aus der rückblickenden Erzählung klar, dass der Leberschaden, an dem er verschieden ist, darauf beruht, dass er nicht reden konnte / wollte, weil er sonst weinen hätte müssen und so zum Wein griff. Und das, weil er als Kind schon am Hof fast sklavenartig schuften musste – und außerdem der Dorfpfarrer gegenüber dem kleinen Buben sexuell gewalttätig geworden war. „Traubenwelt“ wird die Trunksucht des Alten genannt – und klingt beim ersten Mal fast wie „Traumwelt“.
Amelie von Godin, die auch die Bühne gestaltete, inszeniert brennendes Haus beklemmend-berührend. Vieles schwebt zwischen den Zeilen, verdeutlicht die Sprachlosigkeit dadurch, dass noch mehr als gesprochen wird, durch Angetipptes gesagt wird. Und obendrein in den Köpfen des Publikums vielleicht mit dem einen oder anderen aus dem eigenen oder anderen bekannten familiären Leben verbinden könnte.
KIJUKU HEINZ, 06.11.2025