So forsch, so furchtlos

  • nach dem Roman von Andrea Abreu
    Deutsch von Christiane Quandt
  • Uraufführung
  • Theater Drachengasse
  • 26. Februar – 23. März 2024, Di-Sa um 20 Uhr

Isora sagte immer, wir würden glücklich sein, sobald wir uns die Beine rasieren durften und wenn wir so schlank wären wie Rosarito, und ich dachte, das stimmte, und der Tag, an dem ich meinen Schnurrbart loswerden durfte, würde der glücklichste Tag meines Lebens.

Zwei Mädchen wohnen in einem ärmlichen Dorf auf Teneriffa. Die eigenen Eltern kaum anwesend, weil sie am Bau oder als Putzkraft in Touristenhochburgen arbeiten, werden sie von ihren überforderten, manchmal gewalttätigen Großmüttern großgezogen.

Die Geschichte begleitet das ungleiche Freundinnenpaar in ihren Wahrnehmungswelten entlang eines Sommers voller Sehnsucht auf den Strand und lenkt einen brutalen und ungekünstelten Blick auf die Kindheit und das Aufkeimen der eigenen Sexualität. Hier wird geschimpft, die Großmutter „bitch“ genannt, den Kindern mit Prügel gedroht.

So forsch, so furchtlos changiert gekonnt zwischen radikal offener Sprache und höchst poetischen Bildern. Zwischen dem Herumstreunen im Dorf, Spielen mit Barbies und Pokémon, liegt gleichzeitig die Hoffnung, endlich schlank zu sein, sich zu rasieren und die Zeit gemeinsam tot zu schlagen.

HÖRBEISPIEL

Bühnenfassung, Regie: Valerie Voigt
Bühne, Kostüme: Thomas Garvie
Livemusik, Komposition: ZINN: Leonie Bramberger, Lilian Kaufmann, Margarete Wagenhofer
Animation: Leonie Bramberger
Regieassistenz: Juliane Aixner
Hospitanz: Marie Athens
Es spielen: Ida Golda, Naemi Latzer, Olivia Marie Purka

Rechte bei Andrea Abreu, verlegt durch Editorial Barret, Sevilla
Rechte der Übersetzung bei Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

Dauer: 1 Std. 45 Min.

Rubbeln, beten, kotzen

Zwei Mädchen auf Teneriffa schlagen die Zeit tot. Nicht ein einziges Mal werden sie es im Sommer an den Strand schaffen, obwohl sie beten, dass sie jemand ans Meer bringt. Dafür streunen sie durchs Dorf, beobachten die skurrilen Bewohner, spielen Barbie, rubbeln ihre „Mimis“ aneinander und wünschen sich, schlank zu sein. Denn sind sie das endlich, wird Isoras Oma sie nicht mehr auf Diät setzen wollen. Valerie Voigt inszeniert den Roman „So forsch, so furchtlos“ von Andrea Abreu witzig und poetisch. Ida Golda und Olivia Marie Purka brillieren als Freundinnen, die ihre Sexualität entdecken. Dazu gibt es punkige Chansons der Band Zinn, die live auf der Bühne den Soundtrack liefert, etwa „Sei bloß nicht zu widerspenstig“.

FALTER 9/2024, 27.02.2024


Sexuelles Erwachen im Theater Drachengasse

Valerie Voigt inszeniert mit "So forsch, so furchtlos" den Coming-of-Age-Roman von Andrea Abreu und jongliert dabei mit Scham und Tabus

Die besten Freundinnen Shit (Olivia Marie Purka) und Isora (Ida Golda) machen alles gemeinsam, auch das Erkunden ihrer Sexualität – im Stück farbenprächtig inszeniert.

"Ich hab Isora zum Fressen gern, will sie aufessen und ausscheißen, damit sie mir gehört." In Monologen wie diesen zeigt Shit (Olivia Marie Purka) ihre Zuneigung zur besten Freundin Isora (Ida Golda). Ja, Shit heißt wirklich Shit, zumindest wird sie von Isora liebevoll so genannt.

Scheiße ist überhaupt ein geflügeltes Wort in dem Theaterstück "So forsch, so furchtlos", das am Montagabend erstmals im Theater Drachengasse über die Bühne ging. Auch Isoras Großmutter (Naemi Latzer) nutzt es oft. Zum Beispiel, wenn sie vom gestörten Essverhalten ihrer Enkelin berichtet, die sich häufig erbricht und Tabletten gegen Verstopfung nimmt. Gleichzeitig drängt sie Isora zu Diäten, damit sie endlich schlank wird. Denn dass Frauen dünn sein sollen, das ist in dem kleinen Dorf auf Teneriffa sonnenklar.

Hier leben die Freundinnen weit von den touristischen Urlaubsorten entfernt, sehen den Strand so gut wie nie. Diejenigen, die sie hinfahren könnten (ihre Eltern), sind im Süden der Insel mit dem Putzen von Hotelzimmern beschäftigt, und jene, die dafür Zeit hätten (die Großeltern), haben keinen Führerschein. Ihre Zeit vertreiben sie sich in erster Linie Barbie spielend und gemeinsam die eigene Sexualität erkundend.

Zwischen Fäkalsprache und Poetik

In ihrer Inszenierung nimmt sich Regisseurin Valerie Voigt des Coming-of-Age-Romans von Andrea Abreu an. Geschichten vom Aufwachsen, vom Aufkeimen lesbischer Gefühle wurden auf der Bühne bereits oft erzählt. Voigt widmet sich ihnen auf originelle Weise. Die vielen tragischen Ereignisse und Probleme im Leben der Mädchen – wie Vergewaltigung, häusliche Gewalt oder Suizidgedanken – kommen unvermittelt und plastisch zur Sprache, werden aber durch die humorvolle Poetik der Dialoge oder Fäkalsprache abgeschwächt.

Mit der Rollenbesetzung gelang Voigt eine Punktlandung, die Schauspielerinnen verpacken die zeitweise schwer verdauliche Handlung in expressive Mimik und hingebungsvolles Spiel (Golda beißt auf der Bühne in eine rohe Zwiebel!). Die Wiener Band ZINN, bestehend aus Leonie Bramberger, Lilian Kaufmann und Margarete Wagenhofer, unterlegt die Szenerie mal mit stimmungsvollem, mal mystischem Sound. Ein befreiendes Stück, das auf köstliche Art und Weise mit Tabu und Scham jongliert.

DER STANDARD, 27.2.2024


So forsch, so furchtlos: Rebellinnen auf einer Ferieninsel

Die Dramatisierung von Romanen wird seit Jahren inflationär betrieben. Zuweilen aber gibt es ein Prosawerk, das auf die Bühne drängt – wie „So forsch, so furchtlos“ von Andrea Abreu.

Regisseurin Valerie Voigt hat für das Theater in der Drachengasse eine ansprechende Fassung der Geschichte von zwei Mädchen, die auf der Ferieninsel Teneriffa zu Hause sind, geschaffen. Die eine, die die Welt noch mit naiven Kinderaugen betrachtet, fungiert als Ich-Erzählerin im Roman und ist bedingungslos ihrer Freundin Isora ergeben. Denn ihre Eltern haben keine Zeit für sie. Der Vater arbeitet am Bau, die Mutter putzt Hotelzimmer und Ferienhäuser. Wenn die Tochter bei ihr sein will, muss sie ihr beim Putzen helfen.

Auch Isora ist auf sich gestellt, sie lebt bei ihrer Großmutter, denn ihre Mutter war einer Krankheit erlegen. Auch sie ist nicht ganz gesund, leidet an Übergewicht. Vom touristischen Treiben am Strand träumen die beiden nur, denn das Meer ist zu weit weg. Nach und nach rebellieren sie gegen Zwänge.

Ida Golda und Olivia Marie Purka leisten auf der kleinen Bühne, einer Art Vulkanhügel (Thomas Garvie), Enormes. Sie lassen Abreus Text fließen, ganz selbstverständlich verhandeln sie Intimstes, entdecken ihre Körper. Zugegeben, da wären ein paar Kürzungen kein Schaden gewesen. Denn mitunter wiederholt sich der Text. Doch die Darstellerinnen spielen so einnehmend, dass man darüber hinwegsieht. Famos ergänzt Naemi Latzer in verschiedenen Rollen. Die Formation ZINN – Leonie Bramberger, Lilian Kaufmann und Margarete Wagenhofer – liefert dazu einen rockigen Begleitsound.

Kurier, 28.02.2024


Zwei Mädchen scheißen sich nichts…

Tabuloser spanischer Roman über junge weibliche Pubertierende, ihre erwachende Sexualität, Freundschaft und mehr sowie „nebenbei“ das Leben auf einer Touri-Insel – dramatisiert im Wiener Theater Drachengasse.

Eine Hälfte der Publikumstribüne im Wiener Theater Drachengasse wird für dieses Stück zur Bühne – für die entfesselten Schauspielerinnen sowie ganz oben für die Livemusikerinnen von ZINN. Zu Beginn trennt ein durchscheinender Vorhang Bühne von Publikum – er ist, auch zwischendurch mehrmals Projektionsfläche für eingespielte Videos. Zu Beginn für eine Lesung aus dem spanischen Original, das mehr als nur Vorlage für das freche, offene, tabulose Spiel rund um zwei sehr junge pubertierende Mädchen auf Teneriffa ist. „So forsch, so furchtlos“ von Andrea Abreu (Übersetzung ins Deutsche: Christiane Quandt) wirkt, als könnte es aus Tagebüchern oder noch eher sogar aus unbelauschten Gesprächen Jugendlicher stammen.

Die Erzählerin aus der Ich-Perspektive, von ihrer besten, vielleicht sogar einzigen Freundin Isora liebevoll „Shit“ genannt, startet gleich einmal mit der eindrücklichen bis hin zur lautmalerischen Schilderung, wie diese kotzt. Fressen – kotzen, um schlank zu werden. Das – nicht das Kotzen, aber das Letztere postuliert die Oma als Schönheitsideal. Zum Ausgleich reden ihr die beiden Mädchen ein, „Bitch“ heiße Oma auf Englisch.

Rhythmisch-poetische Sprache
So wie die einleitende Kotz-Schilderung durch die rhythmisch-poetische Sprache der Autorin alles andere als einen „wäääh“-Reflex erzeugt, so zwanglos kommt Scheiße, Kacke usw. über die Lippen – nicht nur im Buchtext, sondern auch den drei Schauspielerinnen: Ida Golda, die die Scheiß-mir-nix-Isora lebt, Olivia Marie Purka als Shit(i) und Naemi Latzer, die meist nur aus den Seiten-Türen auftritt, mal als Isoras Oma, dann wieder als Doña Carmen – und da am ehesten noch im Spiel mit den beiden anderen als Juanita Banana, wie der Junge Juanito im Dorf genannt wird.

Mimi und Muschi
Mindestens genauso offen wie über Ausscheidungen oben und unten, unterhalten sich die beiden Mädchen über die erwachende Sexualität, über Rubbeln, ihre Mimi bzw. Muschi wie sie die Vulven unterschiedlich liebevoll benennen. Und irgendwie schwingt mit, dass Shit in Isora vielleicht mehr sieht als eine beste Freundin und Vorbild. Weswegen sie sich auch zutiefst verletzt fühlt, wenn Isora etwas unternimmt und Shiti nichts davon erzählt…

„Nebenbei“ erzählt die Geschichte auch von den beiden getrennten Welten zwischen den Tourist:innen und den einheimischen Dienstleister:innen.

Genial in Spiel übersetzt
Das was so modern als authentisch bezeichnet wird – ist dieser Roman – und das schon genannte Schauspieltrio (Bühnenfassung nah am Original, Regie: Valerie Voigt) schafft es exzellent dies auf der schrägen Bühne (Thomas Garvie, auch für Kostüme verantwortlich) lebendig werden zu lassen – mit viel Power, Sschwung, Spielfreude und nicht zuletzt auch dem Humor, der dem Text innewohnt. Die Stufen der Tribüne sind mit Pölstern und Kork-Granulat zwischen hölzernen Wänden, die ein wenig an die Form zweier (Ober-)Schenkel erinnern, befüllt. Und werden Strand, Spielplatz und noch vieles mehr.

Das Schauspiel wird unterstützt, betont, untermalt von den Live-Musiker:innen Lilian Kaufmann, Margarete Wagenhofer und Leonie Bramberger. Letztere schuf auch mehrere Animationen, die hin und wieder projiziert werden – darunter Chats der beiden Mädchen in der Computerklasse.

kijuku.at, 04.03.2024


Andrea Abreu - So forsch, so furchtlos - Theater in der Drachengasse

Am 26. Februar 2024 fand im Theater Drachengasse Wien die Premiere von "So forsch, so furchtlos" in der Inszenierung von Valerie Voigt statt. Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Roman von Andrea Abreu.

Aufwachsen

Zwei Jugendliche, Isora und ein Mädchen, genannt "Shit", wachsen in einem Dorf auf Teneriffa in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihre Eltern bekommen sie eher selten zu Gesicht, da diese am Bau oder als Putzkraft arbeiten. Wenn die beiden Freundinnen nicht gerade sich selbst überlassen sind, werden sie von ihren Großmüttern großgezogen, die manchmal auch gewalttätig sind.

Ein Sommer voller Sehnsucht 

In dem Stück begleiten wir das ungleiche Freundinnenpaar entlang eines Sommers, der geprägt ist von Sehnsüchten sowie der Erforschung der eigenen Sexualität. Vor allem Isora nimmt sich kein Blatt vor den Mund und bezeichnet die eigene Großmutter schon mal als "Bitch". Sie schimpfen, drohen Prügel an oder verschicken in Chatrooms verbotene Nachrichten.

Träume

"So forsch, so furchtlos" bewegt sich auf einziartige Weise zwischen einer radikalen Sprache und poetisch angehauchten Bildern. Die Protagonistinnen begeben sich auf Erkundungstour durch das Dorf oder spielen mit Junanito, der den Spitznamen "Juanita Banana" bekommen hat, Barbie. Dazwischen sehnen sie sich aber vor allem danach, endlich schlank zu sein oder sich rasieren zu dürfen. Im Grunde versuchen Isora und "Shit" jedoch nur, sich irgendwie die Zeit zu vertreiben.

Fazit

"So forsch, so furchtlos" im Theater Drachengasse Wien bietet eine scham- und tabulose Exploration der weiblichen Jugend, die mit poetischer Intensität die abenteuerliche Reise der Sexualität durchleuchtet und gleichzeitig mit einem queeren Begehren spielt. Unterlegt von einer mitreißenden musikalischen Begleitung schafft die Inszenierung einen Raum für emotionale Resonanz und Reflexion. Alles in allem ist einfühlsames und tragikomisches Theatererlebnis entstanden.

kunstreflektor.at, 02.03.2024

Highlights- Tipp

"Wenn Teenager träumen", dann spielt sich das heutzutage etwas unverblümter ab. Die Mädchen sind kritischer geworden, den umgebenden Menschen gegenüber und sich selbst gegenüber. Sie hadern mit dem eigenen Äußeren, wünschen sich eine schlanke Figur und einen makellosen Körper. Die erwachende Sexualität spielt natürlich mit. Und kritische Äußerungen zu anderen Menschen gibt es sowieso.
 
Das Theater in der Drachengasse hat wieder einmal eine exzellent gespielte, toll inszenierte Eigenproduktion geliefert. Es ist erstaunlich, wie wandelbar sich der Zuschauerraum präsentiert, der zugleich Bühne ist. Jede Produktion sorgt für neue optische und dramaturgische Überraschungen. Und das alles mit relativ einfachen Mitteln.

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