Weißer Rauch

  • Pocahontas im Virginia-Megastore
  • Bar&Co
  • 21. – 24. Oktober und 4., 5. und 7. - 9. November 2019 um 20 Uhr





















1995 war das Kino voll: Pocahontas und Waschbär treffen auf John Smith und Mops. Es war Disney-Magic galore unterm Wasserfall. Es war Liebe. Es war Julia und Romeo. Von wegen Landnahme und Genozid – alle gleichermaßen SAVAGES laut Walt Disney. Die Virginia-Algonkins und das Kolonial-Personal. Nur Prinz und Prinzessin treten als liebende Individuen aus ihren Clans hervor.

Ein ikonisches Bild: Die Native American wirft ihren Körper schützend zwischen Kolonist und Waffe. Schützt mit ihrem Körper den seinen und gibt mit ihrem Körper das Land.

1607 soll die etwa 10-jährige Matoaka aka Amonute aka Pocahontas den Kolonisten John Smith vor der Hinrichtung gerettet haben, er mitbegründet Jamestown, Virginia, die erste dauerhafte englische Siedlung in Nordamerika. 1613 jedenfalls wurde Pocahontas von den Kolonisten entführt und konvertiert. Sie heiratet den Tabak-Pflanzer John Rolfe, dem sie einen Sohn gebiert und daraufhin nach London reist. 1617 stirbt Pocahontas in Gravesend, England. Die First Families of Virginia wollen Nachkommen von Pocahontas und Rolfe sein. Pocahontas ist zum amerikanischen Gründungsmythos gemacht worden.

Das ikonische Bild: Landnahme sowie Körpernahme. Kolonialgeschichte ist Vergewaltigung. Fortgeschrieben in den Geschichten, die davon erzählen. Darüber wächst kein Gras. Auch kein Tabak.

Text: Effe U Knust
Regie: Anna Laner
Video: Elke Auer
Mit Nancy Mensah-Offei

Special thanks to: Eva Jantschitsch, Philipp Haupt, Monika Rovan und Romana Zöchling

Heute schon Fahnen gesteckt?

Bis es heißt "It' s showtime" ist da nur Weihrauchgeruch und Kerzenlicht. Im grünen Abendkleid singt Nancy Mensah-Offei den Song "Fever" über Captain Smith und Pocahontas und erklärt, dass es in Wirklichkeit aber nicht wie bei Disney war. Das Stück "Weißer Rauch" von Effe U Knust (Regie: Anna Laner) heißt im Untertitel "Pocahontas im Virginia-Megastore" und nimmt sich der Entmystifizierung der Legende an. Pocahontas hieß eigentlich Matoaka, 1613 wurde sie von Kolonialisten entführt und nach Jamestown gebracht, wo sie den Tabakpflanzer John Rolfe heiratete. Mensah-Offei gibt eine fabelhafte Alleinunterhalterin, die sich den klugen und oft erschreckend witzigen Gedankenergüssen über weiße Autorenschaft, Fahnen in "Virgins" und den Zusammenhang zwischen Sudern und Suada exzessiv hingibt.

FALTER 44/19 vom 30.10.2019


Auch Kolonialismus darf penetriert werden

Theater kann mehr, kann uns die bekannten Geschichten entreißen und sie durch den Sprachwolf drehen und am Ende ist alles neu und wie nie zuvor.

Ein Theaterstück über Pocahontas und ich sehe sogleich die Zeichentrickbilder des gleichnamigen Disney-Films vor meinem inneren Auge. Dies ist aber kein Walt Disney-Märchen. Stattdessen nimmt uns eine Schauspielerin, dargestellt von Nancy Mensah-Offei, mit bei ihrem Comeback, das zu einer Hochgeschwindigkeitsreise durch die Jahrhunderte wird. Gewaltsame Landübernahme oder sensationelle Mondübernahme sind ein und dasselbe: erobertes Land, dessen Besitz mit der Fahne markiert werden muss, wie auch die, meist Frauen-, Körper markiert werden müssen.

“Wir dringen jetzt ein und wer zu spät kommt, ist ein Eindringling.”

Die jeweilige Rechtfertigung holt man sich hinterher, wie im Falle von John Smith, dem Kolonisten, der die erste, dauerhafte englische Siedlung im heutigen Virginia mitbegründet hat. Die Briefe und Berichte von der Rettung durch Pocahontas, damals schon Fake-News, ein Versuch den Kolonialismus zu rechtfertigen? Oder einfach der natürliche Lauf der Geschichte, wo sich eine dramatische Rettung, am Besten mit anschließender Liebesgeschichte, besser verkauft als die trockenen Tatsachen?

Keine Angst, hier werden keine Sentimentalitäten über Pocahontas ausgebreitet, im Gegenteil. In diesem Stück kommen die marginalisierten Figuren von Walt Disney zu Wort, hier zählt ihre Wahrheit, die viele Dialekte und Zitate bedient. Die Autorin eröffnet einen Raum, der sich der immer gleichen Rhetorik männlicher Eroberung widmet und zerschmettert dabei zusammen mit der Regie alte Muster und Denkstrukturen, die nur allzu festgefahren in unseren Köpfen existieren.

Fazit: Erfrischende 65 Minuten an Sprachwunder und Schauspielkunst.

NeueWiener, 22.10.2019


Keine Disney-Magie, weder Mops noch Waschbär

Als „professionelle Suderantin“ bezeichnet sie sich, dies kein Bonmot, kein Scherz, sondern ein Aufbegehren gegen ein von Männern verpasstes Image. John Smith, John Barth, Neil Young, Walt Disney … Mehr als zehn Orte in den USA und Kanada sind nach ihr benannt, ein Steinkohlevorkommen, ein Luxuszug, fünf Schiffe der US-Navy. Der George-Bush-Clan, Nancy Reagan, Polarforscher Richard Byrd, Mode-Ikone Pauline de Rothschild zählen sich via Verwandtschaft mit ihr zu den First Families of Virginia. Im Kuppelraum des Washingtoner Kapitols ist auf einem Wandgemälde ihre Taufe nachempfunden. Von 1891 bis 1896 schaffte sie es, abgebildet in Hoftracht wie auf dem 1616er-Kupferstich, sogar auf die Zwanzig-Dollar-Note.

Nach Martha Washington als zweite Frau überhaupt auf einen US-Geldschein – und bis dato als letzte. Statt ihres Porträts prangt nun das Konterfei von Andrew Jackson auf dem $, statt der Indianerprinzessin ein Indianerschlächter, unter dessen Präsidentschaft der Indian Removal Act, ein Ausweisungs- und Umsiedlungsgesetz zur Vertreibung der Native Americans von ihrem Land, erlassen wurde. Dass ihm 2020 die schwarze Sklaverei-Bekämpferin Harriet Tubman, die über die Underground Railroad (siehe: www.mottingers-meinung.at/?p=27113) abertausende Leben rettete, folgen sollte, weiß Donald Trump – noch - zu verhindern.

„Suderantin“, sagt also Schauspielerin Nancy Mensah-Offei. In „Weißer Rauch. Pocahontas im Virginia-Megastore“, einer Koproduktion von 3000THEATER und dem Theater Drachengasse, verwandelt sie sich ebendort in die auch Amonute genannte Matoaka, Lieblingstochter des Powhatan Wahunsonacock von den Virginia-Algonkin. Der von Effe U Knust verfasste, von Anna Laner auf der Bar&Co-Bühne inszenierte Monolog setzt selbstverständlich nicht auf Niedlichkeiten wie Mops und Waschbär. Komplett ohne Disney-Magie gibt es nun Tatsachen und Medisancen, das heißt: erstere naja, zweitere oh ja!

Jedenfalls verspricht Mensah-Offei bereits aus dem Off die vollkommene Wahrheit – als Beiwerk zu großer Show und Signature Cocktails, und entlarvt gleich einmal die Captain-John-Smith-Story als G’schichtl. Dessen durch nichts bewiesene, dennoch in die Annalen eingegangene Angabe, Pocahontas hätte sich schützend vor ihn geworfen, als ihr Vater ihn an den Marterpfahl band, weshalb es nicht zum Foltertod, sondern zwischen der erst zehnjährigen Savage und dem Jamestown-Mitbegründer und späteren Käufer der ersten schwarzen Sklaven, zu einer Amour fou kam. Welch sagenhafte Legende. Der Otis Blackwell die vorletzte Strophe seines Songs „Fever“ widmet. Den Nancy Mensah-Offei als exzellente Entertainerin und superbe Komödiantin ohne Scheu vor Overacting ins Mikrofon haucht.

Die historische Pocahontas, ihr Spitzname für „die Verspielte“, wurde 1613 von den Kolonialherren verschleppt, konvertiert und auf den biblischen Namen Rebecca getauft. Als solche heiratete sie mit mutmaßlich 19 Jahren den Tabakpflanzer John Rolfe. Zwölf Monate später wurde Sohn Thomas Rolfe geboren. 1616 berief sie James I. als Botschafterin ihres königlichen Vaters an seinen Hof – wo der „gewöhnliche“, weil nicht blaublütige John Rolfe nicht willkommen war. Pocahontas aka Rebecca verstarb kurz vor Antritt der Rückreise je nach Quelle an Lungenentzündung, Tuberkulose, Typhus oder Pocken, und wurde am 21. März 1617 in der St. George’s Church in Gravesend begraben.

Aus all dem hat Autorin Effe U Knust einen kunstvollen Textteppich gewoben, sprachverspielt, geistreich, wortdreherisch, dabei stets dem wirklich Stattgefundenen verpflichtet, und der weiblichen Sicht auf die Ereignisse. Amüsant ist das, wenn Mensah-Offei als längst verschiedener John Rolfe – inklusive leuchtendem Heiligenschein, glaubte er doch die Seele der Wilden Pocahontas per Eheschließung zu retten – beklagt, dass ihm John Smith punkto Berühmtheit weit überrundet hat. „Harte Arbeit“, seufzt der Leichnam, „dafür interessiert sich Disney nicht.“ Dabei – und jetzt Kloß im Hals – sei er es gewesen, der Land wie Frau „genommen“, Land und Frau fruchtbar gemacht hätte, beide davor unberührt, bis der Eindringling eindrang.

Knust spielt bei ihrer „Repräsentationsrevue“ mit den Begriffen Virgin/Virginia, Laner lässt ihre Protagonistin die Neue Welt als gigantische Kaugummiblase aufpusten, steht Christianisierung an, benebelt Mensah-Offei das Publikum mittels dampfendem Weihrauchgefäß. Losgelöst von allen stereotypen Perspektiven erzählt Pocahontas Witze: „Treffen sich eine Raucherin, eine Trafikantin und eine Nichtraucherin …“, und zielt mit einer Bemerkung über Nikotin-Junkies als eine Art Antifa im Freiheitskampf für ihre Sucht treffsicher auf gegenwärtige Reibereien.

Kriegsbeil gegen Friedenspfeife, sozusagen, und John Rolfe brüstet sich damit, dass der lukrative Tabakhandel die Sklavenwirtschaft erfunden hätte – „Geh‘ scheißen, Baumwolle!“ Nancy Mensah-Offei, geboren in Ghana, das westafrikanische Land 1874 von den Briten zur Kronkolonie erklärt und dessen Bevölkerung ergo dem selben Empire ausgeliefert wie Pocahontas, turnt vom amerikanischen Gründungsmythos zur „Mankind“-Massenvergewaltigung zur Mondlandung 1969, der Landnahme eines Himmels-Körpers. „Steckt in diesem Loch schon eine Fahne?“, fragt sie unzweideutig, und baut die Bühne mit einem Abschlagnetz zur Driving Range um.

Beim Upper-Class-Sport kann Pocahontas schließlich bestens übers „depperte Patriarchat“ lästern. Eine Meta-Decke haben Knust, Laner und Mensah-Offei außerdem eingezogen. Die Schauspielerin – im von Elke Auer gestalteten Video - möchte nämlich Dramatikerin und Theaterdirektorin, beide weiß, beide Mensah-Offei live, von ihrer Vielschichtigkeit überzeugen, sie hat genug von den Schubladen, in denen sie verstaut wird, und demonstriert das ganze Spektrum ihres Könnens. Vergebens. Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft bestimmen nach wie vor den Status einer Person. „Rasse“ macht den Menschen. Und weit und breit kein „Weißer Rauch“ in Sicht.

Mottingers-Meinung.at, 23.10.2019


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