(R)Evolution

  • eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert
  • Yael Ronen und Dimitrij Schaad
  • gestreamt aus dem Theater Drachengasse
  • Online-Premiere am 12. März um 20 Uhr,
    weitere Streaming-Termine: 13., 18., 26. und 27. März um 20 Uhr
    Aufgrund des großen Erfolges gibt es im April weitere Streaming-Termine: 16., 17., 23., 24., 25. April um 20 Uhr

    Tickets gibt es hier: www.eventbrite.at
    Kartenpreis: € 10.-
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Wir könnten das Aggressionspotenzial senken, aber ich rate davon ab. Der Konkurrenzdruck wird in Zukunft ansteigen, und da wird es eine eher nützliche Eigenschaft sein.

Lana will im Frühjahr 2040 ein perfektes Baby zur Welt bringen: konkurrenzfähig, sozialversicherungstauglich, immun gegen ausgewählte Krebsarten und resistent gegen Klimakatastrophen. Kein Problem für Dr. Stefan Frank. Aber für Lanas Mann René. Nicht genug, dass sein Genmaterial dürftig ist, fragt er sich auch, ob es gelingt, das Survivor-Paket für den designten Spross in spe abzuzahlen. Was soll man auch anderes erwarten von einem ehemaligen Waldorfschüler und Sympathisanten der Naturalisten, die Anschläge gegen Klimasünder verüben?

Wenigstens wartet zu Hause Alecto auf die beiden und gibt Tipps, damit sich Renés Genmaterial nicht weiter verschlechtert. Die künstliche Intelligenz analysiert die Daten sämtlicher Verhaltensweisen und prognostiziert damit punktgenau Gesundheitsrisiken ebenso wie Gefühlswahrscheinlichkeiten. Neben diesen Herausforderungen trägt Alecto auch die Bedürfnisse der Haushaltsgeräte an René heran.

Und als Dr. Frank nicht mehr zurechtkommt, dass Ricky ausschließlich Cybersex praktiziert und ein analoger Kuss nicht in Sicht ist, ist Alecto der Paartherapeut der Wahl.

Inspiriert von Yuval Noah Hararis 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert verhandelt (R)Evolution die Herausforderungen, die die digitale Revolution an die menschlichen Beziehungen stellt - mal humorvoll mal bitterböse. 

Regie: Sandra Schüddekopf
Bühne, Kostüme: Martina Mahlknecht
Video: Nela-Valentina Pichl
Regieassistenz: Juliane Aixner
Ausstattungsassistenz: Verena Geier
Sounddesign: Rupert Derschmidt
Technik: Matthias Vanura, Michaela Pink
Es spielen: Zeynep Buyraç, Maddalena Hirschal, Felix Rank, Johannes Schüchner, Sebastian Wendelin

Rechte bei henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin

HÖRBEISPIEL

Der Wahnsinn ist gesät: "(R)Evolution" im Theater Drachengasse

Die Zukunft gehört den Algorithmen: Mit Schwung inszeniert Sandra Schüddekopf das Zukunftsdrama von Yael Ronen und Dimitrij Schaad

Auto, Handrührgerät, Telefon. Maschinen bestimmen unser Leben. Und mit der digitalen Revolution haben sie sich arg vermehrt. Alles ist jetzt smart, die Heizung schaltet sich ein, während wir noch in Buxtehude sind. Angenehm. Aber es kann schnell unangenehm werden. Yael Ronen und Dimitrij Schaad haben die Entwicklung weitergedacht und ein krasses Zukunftsstück geschrieben. Es basiert auf 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert des Historikers Yuval Noah Harari und führt in eine erschreckend nahe Zukunft: 2040.

(R)Evolution feiert nach der Uraufführung am Thalia-Theater Hamburg im Vorjahr nun österreichische Erstaufführung, online versteht sich. Regisseurin Sandra Schüddekopf hat das Setting im Theater Drachengasse ganz auf eine filmische Präsentation zugeschnitten. In einer nur noch projizierten Welt aus metallisch-grau-blauen Stoffbahnen (Bühne: Martina Mahlknecht) plant ein Paar (Zeynep Buyraç, Sebastian Wendelin) die Geburt seines Kindes. Ein weiteres Paar (Felix Rank und Johannes Schüchner) klärt Beziehungsprobleme. Und eine Frau (Maddalena Hirschal) hat Depressionen.

Mutters Stimme

So weit können wir noch mithalten. Aber dann kommt Alecto. Der Name ist Programm. Wird doch in der Mythologie eine Rachegottheit so genannt, die für das Säen von Wahnsinn und die Umsetzung von Verfluchungen zuständig war. Anstatt furiengleich zu fuhrwerken, tritt Alecto aber als entspannte Computerstimme in Erscheinung, die 2040 offenbar in keinem Haushalt fehlt und als zentraler Datenspeicher fungiert. Vom Auffüllen des Kühlschranks bis zum Freundinnengespräch reicht sein/ihr Programm. Vermutlich bekommt man ohne Alecto gar keinen Mietvertrag mehr!

In Close-ups und Weitwinkeleffekten tastet die Inszenierung sämtliche biotechnologische Errungenschaften ab: Erbgutoptimierung, Cybersex (mit und ohne Partner), Auswertung der Bürgerdaten. Sibylle Bergs Überwachungsvision GRM. Brainfuck lässt grüßen.

Befehl vom Bett

Ein Gruselstück mit Farce-Elementen, das auch als Futuristenklamotte taugt: Der Kühlschrank wurde beispielsweise einmal hinterhältig auf die Stimme der Mutter programmiert. Aller Luxus hilft indes nichts. Trotz Hightech-Krebspräventionsmedizin ist die Lebenserwartung auf 50 Jahre geschrumpft: Klimakatastrophe.

Die Rachegottheit hat ganze Arbeit geleistet. Das Scheusal Mensch liegt darnieder. Es macht Vergnügen, dem gesteigerten Horror zu folgen. Das Allerbeste: Irgendwann hat das Bett beschlossen, dass vor dem Schlafengehen nicht mehr ferngesehen werden darf. Zu unruhig sei sonst der Schlaf!

Der Standard, 17.3.21

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Theater Drachengasse streamt eine groteske Dystopie

Sandra Schüddekopf inszeniert Yael Ronens "(R)Evolution Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert".

Was Theater ist, wenn es nicht mehr gemeinsames Erlebnis an einem Ort ist, was digitales Theater mehr sein kann als die reine Aufzeichnung einer Vorstellung, und ob es dann überhaupt noch etwas mit tradierten Theater-Definitionen zu tun hat - diese Überlegungen beschäftigen uns nicht erst seit den vergangenen Monaten. Jedenfalls sind wir bereits an aufgezeichnete Theaterabende gewöhnt.

Sandra Schüddekopfs Inszenierung von Yael Ronens und Dimitrij Schaads "(R)Evolution. Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert", gestreamt aus dem leer gefegten Theater Drachengasse, ist eine der kurzweiligeren Annäherungen an das Thema.

Geschickt wird der gesamte Raum bespielt, der mit "Handle with care"-Planen ausgelegt und als traditioneller Theaterraum quasi verabschiedet wurde. Aus allen möglichen nicht nur stofflichen Verschlingungen tauchen die fünf Darsteller auf, um in klassischen Spielszenen mal bissiger, mal erschreckender unterschiedliche "worst cases" einer Welt zu deklinieren, die sich vom Anthropozän auch schon wieder verabschiedet hat und von künstlichen Intelligenzen bis in die letzten genetischen Dispositive und Hirnwindungen durchprogrammiert wird.

Der Mensch: Das Produkt jener Technologien, die er selbst einst geschaffen hat, ehe sie sich von ihm freundlich, wenn auch nicht unbedingt dankbar, verabschiedet haben. Verzweiflung mit einigem Unterhaltungswert.

Wiener Zeitung, 17.3.21

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Die Zukunft, das volle Paket

Die KI Alecto hat den Termin mit dem Scheidungsanwalt schon vor dem Ehestreit ausgemacht. Bett und Fernseher verbieten dem Besitzer künftig das Fernsehen vor dem Schlafengehen -es tut ihm nicht gut. Und das Elternpaar diskutiert darüber, gegen wie viele Krankheiten das nächste Kind per teurem Gentechnikpaket auf jeden Fall geschützt sein soll. Auf natürlichem Wege wird es nicht entstehen, das ist total out im Jahr 2040, als der "Naturalismus" beginnt, terroristische Tendenzen anzunehmen.

Das mit dem Ensemble des Hamburger Thalia Theaters entwickelte Stück "(R)Evolution" von Yael Ronen und Dimitrij Schaad erlebt passenderweise gerade in der Streaming-Ära eine Reihe von Neuinszenierungen. Im Theater Drachengasse nahm sich die Regisseurin Sandra Schüddekopf des futuristischen Potpourris an. An den Vorstellungsabenden wird live vor mehreren Kameras gespielt und gestreamt, Folien mit der Aufschrift "Handle with care" bedecken die Publikumsreihen. Durchkomponiertes Sprechopernstakkato übertüncht die Abwesenheit Lachender, in schönen Zweierszenen etwa zwischen Johannes Schüchner und Felix Rank öffnet sich aber sogar Raum für Gefühle. Etwas übervoll mit Themen, bietet der Abend doch eine launige Sicht in eine potenzielle nahe Zukunft der westlichen Zivilisation.

FALTER 12/21 vom 24.03.2021


Theater Drachengasse streamt: Yael Ronens „(R)Evolution“

Grandiose Groteske auf den Optimierungswahn

Alecto, die niemals Rastende, das ist in der griechischen und römischen Mythologie eine der drei Erinnyen, zuständig für Verfluchung, familiäre Vergehen, Wahnsinn. Googelt man Alecto allerdings, ist als Nummer eins ein niederländischer Babyartikelhersteller gelistet – und beides passt zu Yael Ronens und Dimitrij Schaads Text „(R)Evolution - eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert“ wie der Faust aufs Gretchen.

Gestern hatte das von den „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ des israelischen Historikers Yuval Noah Harari inspirierte Stück seine österreichische Erstaufführung als Live-Stream aus dem Theater Drachengasse. Nach der Online-Premiere der Inszenierung von Sandra Schüddekopf, Video von Nela-Valentina Pichl, gibt es bereits heute um 20 Uhr den nächsten Streaming-Termin auf www.drachengasse.at. Gewitzt und gruselig verhandeln Ronen und Schaad den menschlichen Imperfekt und wie er von Informationstechnologie überrollt wird, alldieweil er via Biotech doch gepimpt werden könnte.

Es ist das Jahr 2040 und die globale Erwärmung hat die Welt fest im Griff. Elf Millionen niederländischer Klimaflüchtlinge irren, da Holland vom letzten schmelzenden Gletscher als erstes geflutet, durch Europa. Ihnen hinterher Arbeitslose, die ihre Jobs an Algorithmen verloren haben. In schierer Verzweiflung ist aus „Fridays for Future“ eine Terrorbewegung geworden, eine Widerstandsgruppe gegen den Hightech-Theismus, die sich „Die Naturalisten“ nennt und Cyber Attacken gegen Flughäfen reitet. Der jüngste Selbstmordattentäter war Waldorf-Schüler.

In diese Gegenwart hinein kann man kein auf normalem Weg gezeugtes Kind gebären, ist Lana Fuchs überzeugt, und so schleppt sie Ehemann René zu Dr. Stefan Frank, der Arzt, dem die Frauen vertrauen, wer die TV-Serienschmonzette noch kennt, um sich einen Sohn auf dem gentechnischen Reißbrett entwerfen zu lassen. Dieser wäre dann konkurrenzfähig, sozialversicherungstauglich, immun gegen drei auszuwählende Krebsarten und resistent gegen Klimakatastrophen.

Wie’s im Gegensatz dazu um den Nachwuchs per Sex steht, sieht Lana am erschreckenden Exempel ihrer Tochter Nina: "Sie hat jetzt schon ein Problem in der Ballettgruppe, weil sie ihr Bein nicht hinters Ohr kriegt." Die grandiose Schauspielerin Zeynep Buyraç platziert Sätze wie diesen mit einer aufgeregt-ängstlichen Zukunftsgläubigkeit, dass einem vorm Bildschirm lautes Lachen wie leises Schaudern überkommt.

René hingegen hat keine Lust auf ein Designerbaby, und Sebastian Wendelin gestaltet ihn so schlurfig, aufsässig und system-nonkonform, als wären die Millennials die neuen 68er. Als Zeichen der Schande muss der defizitäre Gatte ein gelbes Armband tragen, hat er sich doch geweigert sich einen Chip implantieren zu lassen, dass seinen mangelhaften Gesundheitszustand dokumentiert, dieser vom mit Mutters Stimme sprechenden Kühlschrank überwacht – und Sebastian Wendelins Sternstunde schlägt in der Szene, in der sich alle kalorienzählenden Küchengeräte gegen ihn verschworen haben, der Toaster nicht toastet, der Mixer nicht mixt, und das Bett gemeinsam mit dem Fernsehapparat zwecks ruhigeren Schlafs ein abendliches Krimi-Verbot ausspricht.

All dies freilich eine Intrige von Alecto, dieser eine nur vorgeblich serviceorientierte, omnipräsente, allwissende Allmacht, der das Komplott angestiftet hat. Doch noch sind Lana und René bei Dr. Stefan Frank, ein aalglatter Rekommandeur seiner Kunst, Johannes Schüchner, der Arzt als Typ Autoverkäufer, der statt vom bestellten Basispaket vom besseren ist gleich teureren Survivorpaket schwadroniert, mit dem der Super-Spross sogar energieeffizient wäre. Im Hintergrund auf „Handle with Care“-Plastikplanen, Sci-Fi-Bühne vs. altvaterische Kostüme von Martina Mahlknecht, läuft nonstop die Matrix, die Darstellerinnen und Darsteller und ihre Augmented Reality.

Zusammen mal wie der vitruvianische Mensch, dessen virtueller Teil sich bald wie ein böser Schatten selbstständig macht, mal wird für Dr. Frank Michelangelos „Erschaffung Adams“ imitiert, mal beißt eine graphische Close-Up-Lana ins Sandwich, obwohl vor ihrRené hungern muss. Fantastische Bilder sind das, ein Tron-Theater, das Überflutung, Überforderung, Überinformation ist auch keine Information, deutlich macht. Dies alles offenbar dirigiert von Alecto, der je nach Nutzer mit Frauenstimme säuselt oder mit Männerstimme hämisch lacht.

Selbst Arzt Stefan lässt sich von ihr infantilisieren, sich alle Entscheidungen abnehmen und seine Emotionen analysieren, während Lana und René ihm Big-Brother-artigen Gehorsam schulden. Allüberall stehen Identitäts- und Kontrollverlust auf Alarmstufe rot. In Spiel kommt hier Renés Ex, Maddalena Hirschal als Tatjana, der Alecto schon ein Naturalisten-Sympathisantentum unterstellt, als sie’s erst träumt – „Da fängt Terrorismus an: im Unterbewusstsein!“ -, und sich behufs einer Verhör-Imagination als good Cop, bad Cop materialisiert.

Als Alecto Tatjana zusätzlich eine Verschmelzung mittels Implantat vorschlägt ist klar: Genisys ist Skynet. Bleibt als letzter im Bunde und in einer der pointiertesten Szenen des Abends Stefans Ehemann Ricky, Felix Rank, Ricky, der Cybersex dem körperlich längst vorzieht, und sich schließlich als trans outet – nein, nicht falscher Körper, sondern gar keiner, trans als transhuman, und der sich die Cloud als Wolke sieben vorstellt. „Liebt Stefan mich?“, fragt er Alecto. Antwort: „Bitte präzisiere die Frage.“

„(R)Evolution“ ist eine bissige Farce, eine großartige Groteske auf Optimierungswahn und den von den Sozial Media befeuerten Perfektionsfanatismus. Ronen und Schaad deklinieren alle Stufen der psychischen Abhängigkeit bis zur Selbstaufgabe an die Technologie durch – in Zeiten, da „nur“ natürlich zu sein ein Makel ist, aber authentisch rüberzukommen das höchste Gut. Realiter landen GPS-Fehlgeleitete noch im nächsten Sumpf, warnen Smartphones nicht vor Verkehrsunfällen. Doch in ihrer Diktatur der Maschinen entwerfen die Autorin und der Autor ein Szenario, in dem die Artificial Intelligenz die menschliche überflügelt.

Im Vergleich mit den selbstlernenden KI-Systemen muss sich die Krone der Schöpfung hintenanstellen – und mutmaßlich kostet das, was in Wien über die Bildschirme flimmert, den Kreateuren im Uncanny Valley angesichts von Transferred Consciousness in der Terasem Movement Foundation und bei Humanity+ nur ein müdes Lächeln. An dieser Stelle bricht die Handlung so unvermutet ab, als wär’s ein Filmriss. Das ist schade und nicht zu verstehen, da Regie und Ensemble bis dahin fantasievoll und fabelhaft komödiantisch unterwegs waren.

Keine Künstliche Intelligenz der Welt könnte einen solch schelmisches Augenzwinkern auf die großen Fragen des Menschseins (re)produzieren!, nun bleiben die Schicksale in der Luft hängen, wie ein Laptop, der sich „aufgehängt“ hat. Es erscheint Zeynep Buyraç als **frau, als Mother Board und verkündet dem Homo sapiens, er werde sich als Homo deus unsterblich machen. Die „(R)Evolution“ wird ihn die Barrikaden verborgenen Wissens stürmen lassen, ah, wie schön ist’s Gott zu spielen. Kein Grund für Dystopien also! Oder?

mottingers-meinung.at, 13.3.21


Zukunftsblick: "(R)Evolution" im Theater Drachengasse

Da passen Inhalt und Verpackung ideal zusammen. Wegen der Theater-Schließungen konnte das von Yuval Noah Hararis "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" inspirierte Stück "(R)Evolution - eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert" von Yael Ronen und Dimitrij Schaad nicht vor Zuschauern im Wiener Theater Drachengasse zur Österreichischen Erstaufführung gebracht werden. Also gab es für den Blick in unsere technologiegeprägte Zukunft gestern eine Online-Premiere auf Youtube.

"(R)Evolution" im Theater Drachengasse

64 Besucher sind laut Bildschirm-Anzeige am Freitagabend mit dabei, als das Ensemble in einem satirischen Prolog mit den neuen Nutzungsbedingungen des Theaters Drachengasse vertraut macht. Grundvoraussetzung des Theaterbesuchs sei die Freigabe der eigenen Bildschirmkamera, da die neue Theaterapp "Draga 3000" per Gesichtserkennungssoftware die Reaktionen auf jeden Gag, jeden Schauspieler, jede Szene analysiere, um damit künftige neue Theaterstücke zu optimieren. Ein Algorithmus werde nicht nur Themen und Plots für jeden Besucher maßschneidern, sondern ihn - so gewünscht - auch scheinbar selbst mitspielen lassen. Während man dies für einen Albtraum hält, fällt der Blick auf die von Algorithmen erarbeitete persönliche Youtube-Vorschlagliste neben dem Bildschirmfenster. Willkommen in der digitalen Gegenwart.

Die Zukunft hält freilich noch deutlich mehr parat, das macht die von Sandra Schüddekopf in dem kleinen, zuschauerlosen Theaterraum (Bühne, Kostüme: Martina Mahlknecht) geschickt für ein paar Kameras inszenierte Szenenfolge deutlich. Alecto heißt die, wohl Alexa nachempfundene, Schnittstelle zwischen Mensch und Maschinen, mit der man künftig mehr kommuniziert als mit dem eigenen Partner - und vielleicht auch lieber, schließlich hat er eine angenehme Stimme, wirkt immer verständnisvoll und weiß über die eigenen Gefühle und Wünsche besser Bescheid als jeder andere. Kein Wunder, dass er für einsame Menschen (wie ihn Maddalena Hirschal hingebungsvoll spielt) sogar zum Seelentröster wird, den man sogar "in sich hinein lassen" würde - käme man nicht im letzten Augenblick darauf, dass es Alecto nur darum geht, Zugriff auf die eigenen Gedanken zu bekommen, um sie noch früher der Polizei zu melden, die mittlerweile künftige Straftaten bereits im gedanklichen Keim ersticken möchte.

Als potenzielle Terroristen werden etwa die "Naturalisten" gehandelt, die sich dem allgegenwärtigen computergestützten Optimierungsdruck verweigern. Dumm nur, dass sich dann die Haushaltsgeräte zusammenschließen, ihre Besitzer zum Meeting vorladen und der Kühlschrank mit der strengen Stimme der Mutter seine Öffnung verweigert: Der Besitzer hat schon mehr als seine für ihn als optimal berechnete Kalorien-Ration zu sich genommen und bekommt nichts mehr. Jetzt nur noch Zähne putzen und dann rasch ins Bett, rät Alecto. Es klingt nach einem Befehl.

Während auch der Cyber-Sex im Jahr 2040 ganz anders und deutlich komplizierter funktioniert, wie ein schwules Paar (Felix Rank und Johannes Schüchner) feststellt, plagen das Hetero-Paar (Zeynep Buyraç und Sebastian Wendelin) ganz andere Sorgen. Das zweite Kind soll ein klein wenig gen-optimiert werden, muss es sogar, denn sonst steigen die Versicherungsgebühren ins Unbezahlbare. Noch teurer ist allerdings alles, was über das gentechnische Basispaket hinausgeht. Die Lebenserwartung des nicht upgegradeten Sprösslings beträgt allerdings, räumt der Berater ein, angesichts deutlich härterer Umweltbedingungen (Klimawandel und so) nur mehr 50 Jahre.

Die Botschaft an das Publikum ist recht eindeutig: "Wir haben uns versklavt - und zwar freiwillig." Doch auch die rückgekoppelte Botschaft an "Draga 3000" dürfte nichts zu wünschen übrig lassen. Der virtuelle Zuschauer war fast durchgängig interessiert und immer wieder auch amüsiert. Der Algorithmus empfiehlt daher: Bitte mehr davon!

APA, 13.3.21


Dein Cyber-Ich weiß, was du bald schon wirklich willst
„(R)Evolution“ von Yael Ronen und Dimitrij Schaad führt in eine nahe Zukunft. Flott inszeniert von Sandra Schüddekopf.

Ein Hauch von Apokalypse liegt beim Kammerspiel Yael Ronens und Dimitrij Schaads in der Luft: „(R)Evolution“ bedient sich bei Spekulationen des Historikers Yuval Noah Harari im Welt-Bestseller „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Daraus hat das Duo ein gewitztes Drama gemacht, das im Februar 2020 am Thalia Theater Hamburg uraufgeführt wurde, quasi am Vorabend der Lockdown-Phasen in der Coronapandemie.

Am Wochenende erreicht Wien diese Rabiat-Evolution, die Beziehungskisten digitaler Zeiten persifliert. Sie passt haarscharf in unsere beschränkte Gegenwarte: Nur via Streaming war die Premiere im Theater in der Drachengasse zu sehen. Trotzdem gibt sie Mut: Es sind noch packende Dramen zu erleben jenseits des Stillstands. Sandra Schüddekopf hat zwei Stunden Spiel Flott inszeniert. Fünf Protagonisten lassen die Zuseher so nah heran, als wären sie vertraute Kolleginnen und Kollegen in Zoom-Meetings, Gestik und Mimik erhalten besondere Bedeutung. Das Ganze ist hervorragend abgestimmt. Eine prägnante Show. Fast alles sitzt.

Die Handlung: Wir befinden uns im Jahr 2040. Die Niederlande und andere Küstengebiete sind wegen des Klimawandels untergegangen. Gespielt wird in einem abstrakten Raum. Das Bühnenbild von Martina Mahlknecht besteht aus wallenden Tüchern, auf die gelegentlich Bilder projiziert werden. Diverse Paare und auch Einzelpersonen haben in dieser keimfrei wirkenden Zone im Kern recht konservativ anmutende Wünsche und Fragen an das Leben: Kinder, Glück beim Sex, irgendetwas gegen Depressionen. Alles wäre doch leichter zu erfüllen im schönen Schein ständigen Konsums.

Die Entscheidung darüber aber können diese Menschen fast nicht mehr allein treffen. Sie lagern sie aus, an den virtuellen Berater Alecto. Für Algorithmen eines werbemächtigen Marktes zählen nicht Individuen, sondern Massen. Längst haben viele Menschen Sensoren implantiert, die strikt über den körperlichen und seelischen Zustand der Betroffenen befinden. Der Kühlschrank-Assistent entscheidet(mit der Stimme der Mutter!), was man essen darf.

Die „Naturalisten“ sind „Terroristen“

Es kann zum Beispiel passieren, dass das Konto einer einsamen jungen Frau (Maddalena Hirschal) präventiv gesperrt wird, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie nach einem höchst wahrscheinlichen Todesfall demnächst voraussichtlich noch mehr psychische Probleme bekommen und ihren Arbeitsplatz verlieren wird. Das System verdächtigt sie außerdem, Sympathisantin einer „Terrororganisation“ zu sein, die gegen den Klimawandel kämpft. Ist sie tatsächlich eine dieser „Naturalisten“, bloß weil sie Mitleid mit niederländischen Flüchtlingen hat? Der Mensch an sich ist nur als berechenbare Einheit interessant.

Aus solchen Situationen mit beträchtlichem Gegenwartsbezug entstehen skurrile Kabinettstücke. Etwa die von einem Arzt (Johannes Schüchner), der bizarren Cyber-Sex mit seinem Partner Ricky (Felix Rank) pflegt. Sie haben aber tiefer liegende Probleme. Die werden von einer Maschine offen gelegt, die dafür auch Lösungen anbietet. Man ahnt: Profit hat stets Priorität, auch für diesen Dr. Frank. Er will einem Paar ein genetisch verändertes Gesamtpaket „Super-Kind“ andrehen, dessen Schaffung es finanziell überfordern würde. Macht nichts! Die Frau (Zeynep Buyraç) und ihr kritischer Mann (Sebastian Wendelin) könnten dich als Versuchskaninchen an einem Forschungsprogramm teilnehmen, das angeblich nichts kostet. Das Baby ist gratis, die Daten, die seine Eltern liefern, sind es auch. In dieser gläsernen Zukunft bekommt man nichts geschenkt.

Die Presse, 15.3.21


Und irgendwann ziehen wir dann raus in die Cloud

Radikale Holländer, Waldorfschüler unter Terrorverdacht und quasselnde Haushaltsgeräte - Sandra Schüddekopf inszeniert am Theater Drachengasse eine Zukunftsdystopie voll absurder Komik.

Es ist Freitagabend, punktgenau 20 Uhr, die Live-Übertragung aus dem Theater Drachengasse startet. Eine schnarrende Computerstimme aus dem Off fordert dazu auf „jetzt bitte die Mobiltelefone auszuschalten“ und ruft die Schauspieler*innen auf die Bühne. Ironischerweise vibriert wenige Minuten später mein Handy neben mir, weil ich soeben noch einmal den Link für die heutige Veranstaltung empfange und das Ding natürlich nicht ausgeschaltet habe. Im Nachhinein scheint mir dieser Moment ein äußerst passender Kommentar zu diesem Abend gewesen zu sein.

Wir schreiben das Jahr 2040. Die digitale Revolution hat ihren mehr oder weniger vorhergesehenen Lauf genommen, die intelligente Technik durchdringt jede Sphäre unseres Alltags. Wer die Webcam abgeklebt und von 1984 Albträume bekommen hat, muss jetzt sehr stark sein. Denn im Zukunftsszenario von (R)Evolution (Yael Ronen und Dimitrij Schaad) treffen Sprachassistenten wie Alecto sämtliche Entscheidungen für uns, Kinderplanung läuft über einen Katalog (aber Vorsicht: jedes Upgrade kostet extra!) und Leute, die an der Waldorfschule waren, werden als potenzielle Terroristen eingestuft. Gefährlicher als die sind eigentlich nur mehr Holländer. Deren Land steht nämlich längst unter Wasser, darum sind sie heimatlos, wütend und radikal geworden.

Aber auch Tatjana (Maddalena Hirschal) könnte bald zum Verhör eingezogen werden. Sie war zwar weder Waldorfschülerin, noch hat sie Kontakte zu den Naturalisten, doch Alecto hat bereits genau berechnet mit welcher Wahrscheinlichkeit sie in den nächsten Monaten Schicksalsschläge erfahren und einen Nervenzusammenbruch erleiden wird. Da kann man nicht vorsichtig genug sein. Denn Terrorismus beginnt bekanntlich im Unterbewusstsein… zumindest laut Alecto, und der hat hier schließlich das Sagen.

Für gut neunzig Minuten können wir die dystopischen Szenen aus dem Alltag von Tatjana, Stefan, Ricky, Lana und René beobachten, so, wie Alecto sie zu jeder Zeit beobachtet. Was auch passiert: Big Brother (in dem Fall: Nela-Valentina Pichl an der Kamera) ist stets wachsam und fängt die Absurdität des Augenblickes und auch des Raumes für uns ein. Dieser ist nämlich inklusive Sitzreihen komplett in Folie gehüllt (Bühne: Martina Mahlknecht) und wird mal in blauen, dann wieder in rötlichen Farbtönen beleuchtet, sodass unter keinen Umständen Wohlfühlatmosphäre entstehen kann.

Doch Regisseurin Sandra Schüddekopf zeichnet keineswegs eine ausschließlich düstere Zukunftsvision. Vielmehr gelingen durch bewusste Übersteigerung Momente von grotesker Komik, etwa wenn René (Sebastian Wendelin) mal wieder der Kragen platzt, weil seine Haushaltsgeräte plappern, piepsen und vibrieren und einfach nicht stumm zu kriegen sind, oder Ricky (Felix Rank) so sehr auf VR steht, dass er seine Rente in der Cloud plant…

Am Ende bin ich dann aber doch sehr erleichtert, dass ich den Laptop zuklappen kann und nicht Alecto fragen muss, wie ich mich jetzt fühle oder was ich als nächstes tun soll.

bohema-wien.com


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