Die Erfindung der Sklaverei

  • Christiane Kalss
  • Theater Drachengasse
  • 6. März – 8. April 2017, keine Vorstellung am 29.März 2017
    Di-Sa um 20 Uhr


















 

Wir haben keine Optionen. Wenn wir nicht so sind, wie sie uns haben wollen, kriegen sie Angst.

Ein idyllisches Fleckchen Erde.
Die Gemeinde ist stolz auf ihren Slogan und tut alles, damit das Fleckchen seinem Namen alle Ehre macht. Zum Beispiel Heidruns Förderantrag zu genehmigen. Sie will ihr neues Bauernhäuschen in Richtung Paradies umbauen. Eine Hipstergeburtsklinik mit Stallgeburt und Zithermusik soll es sein. Wie gut, dass da gerade zwei Gäste kommen. Gäste, die bleiben wollen. Die können gleich mal anpacken in Heidruns Paradies. Für Gottes Lohn versteht sich.

Was sonst sollte man mit den Dauergästen anfangen? Ist ja an und für sich niemand zuständig für sie. So hilft der Neurologe bei Geburten, und die Flugzeugingenieurin steuert Wissen für Gernots geplante Flugzeugentführung bei. So hat auch Heidruns „Hotel Mama“-Sohn endlich sein Projekt, das die Gemeinde förderungswürdig findet. Kein Wunder, plant er doch, auf diese Weise Gäste in das idyllische Fleckchen zu bringen. Gäste, die passen.

Regie: Sandra Schüddekopf
Bühne, Kostüme: Andrea Fischer
Musik: Rupert Derschmidt
Regieassistenz: Julia Pacher
Bühnenassistenz: Nicole Spröte
Es spielen: Michael Köhler, Gottfried Neuner, Petra Strasser, Alexandra-Maria Timmel, Nicola Trub

Rechte bei Christiane Kalss

Trailer


Hörbeispiel: mp3

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Ländliche Idylle, hinter der sich Horror verbirgt

„Die Erfindung der Sklaverei“ in der Drachengasse: Ein tolles Drama wird kühl inszeniert, unaufgeregt gespielt.

Seltsame Allegorien hat sich Christiane Kalss (*1984 in Leoben) für ihr hintersinniges Drama „Die Erfindung der Sklaverei“ ausgedacht, das 2016 für den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert war und nun im Theater Drachengasse in Wien uraufgeführt wurde: Da ist eine dralle Dame (Petra Strasser) im rosa Kleid und mit Perlenkette, die für eine idyllische Gemeinde spricht, wie man das von Provinzpolitikern gewohnt ist. Etwas Unheimliches lauert hinter ihren freundlichen Phrasen. Sie bespricht mit der smarten Heidrun (Alexandra-Maria Timmel) deren Projekt einer Geburtsklinik am Bauernhof und fördert es reichlich. Auch Heidruns erwachsener Sohn Gernot (Michael Köhler) hat überspannte Pläne, die meist scheitern, etwa die Zucht von Riesenmeerschweinen, auf denen man reiten kann. Das Fachwissen dazu holt er sich aus dem Internet!

Die drei besitzen anmaßende Inkompetenz. Sie werden ergänzt durch Fremde, von nicht weit weg, die im Ort Schutz suchen. Der Doktor (Gottfried Neuner) und die Andere (Nicola Trub), eine Technikerin, erhalten Asyl, aber zum Preis absoluter Ausbeutung. Sie müssen für die neue Klinik gratis arbeiten, faktisch rund um die Uhr. Gernots nächster Plan: mit Cyber-Voodoo ein Flugzeug entführen – die Klinik braucht Leute. Willig fördert die Gemeinde die nächste Katastrophe.

Sex-Sklavinnen für den Nachbarort

Klingt verrückt? Ist es auch, aber Sandra Schüddekopfs Inszenierung im kargen Bühnenbild Andrea Fischers bringt diesen Wahnsinn, der mehr Bezug zur Realität hat, als man glauben will, derart kühl, dass moderne Sklaverei und „bedauerliche Unfälle“ normal wirken. Das Grauen eröffnet sich im Absurden, etwa wenn von den Meerschwein-Babys die Rede ist – sichtbar wird dabei nur, dass Gernot und die Andere schließlich mit blutigen Händen dastehen. Der tolle Text deutet immer wieder solche Abgründe an. Die Bestie Wachstum will fressen, es scheint ganz normal zu sein, dass Menschen als Sex-Sklavinnen in den Nachbarort exportiert werden. Dabei kann es jede(n) treffen. Kein Ausweg ist zu sehen in 90 gelungenen Minuten negativer Utopie, die raffiniert unaufgeregt gespielt wird.

Die Presse, 9.03.2017


"Die Erfindung der Sklaverei": Endlich Mensch, endlich Meerschwein sein

(…) Im Theater Drachengasse herrscht aus Anlass der Uraufführung eine Art zähnefletschender Herzlichkeit. Das Stück der Leobnerin Kalss war unlängst für den Heidelberger Stückemarkt nominiert. Seine handelnden Personen heißen entweder "Heidrun" oder "Gernot". Andere bleiben ungetauft und gehen in ihrer Funktion auf. Menschen sind Nutztiere. Ihr Wert wird bestimmt durch ihre Eignung für die Beförderung des Allgemeinwohls.

Untermalung gängiger Diskurse

Der "Doktor" und "die Andere" sind solche anonymen Fälle. Obgleich Migranten, entstammen sie bloß dem engeren Umfeld der Nachbargemeinden. Als Flüchtlinge besitzen sie wohl einen vagen Anspruch auf vorläufiges Unterkommen. Als Arbeitende dürfen sie jedoch auf kein Entgelt hoffen.

Kalss, eine Mittdreißigerin, hat unter höhnischem Gelächter eine dramatische Versuchsanordnung auf die Beine gestellt. Ihr pfiffiger Text eignet sich vorzüglich für die szenische Untermalung gängiger Sozial- und Mindestsicherungsdiskurse. (…)

Die verhärmte Alleinerzieherin Heidrun (Alexandra-Maria Timmel) baut ihr frisch übernommenes Bauernhaus in eine Geburtsklinik um. Gefördert wird die Einrichtung des esoterischen Wochenbettlagers von der üppigen Gemeinde. Der überständige Sohn (Michael Köhler), ein Brillen-Nerd, macht sich derweil um die Aufzucht von Meerschweinchen verdient. Groß sollen die mutierenden Nager werden: groß genug, um auf ihnen zu reiten.

(…) Über allen herzigen Ideen steht, unbeirrbar wie ein Fels, "die Gemeinde". Strasser entfaltet den milden Schrecken einer versteinerten Vernunft. In ihrer Darstellung werden viele Jahrzehnte angewandter Bürokratiekritik zum schauspielerischen Ereignis. (…)

Der Standard, 7.3.2017


Aushöhlung der Arbeitsverhältnisse

Sandra Schüddekopf inszeniert an der Drachengasse "Die Erfindung der Sklaverei".

Wenn der Kuckuck schreit, schaut die Gemeinde auf die Uhr. Die Schauspielerin Petra Strasser ist "die Gemeinde", trägt ein adrettes rosa Kleid und nennt nicht-entlohnte Arbeit ein neues Beschäftigungsmodell. Anstatt im Hinblick auf Profit sollen die Gemeindemitglieder doch lieber aus Liebe und Fürsorge handeln. (…) Der Text der österreichischen Dramatikerin Kalss war 2016 für den Heidelberger Stückemarkt nominiert gewesen. Zwei Gäste, die neu in die Gemeinde dazukommen, werden darin als Arbeitskräfte missbraucht. Währenddessen mühen sich alle anderen um Projektförderungen, bis schließlich Gernot, der verschrobene Meerschweinchen-Züchter, das gesamte System auseinandernimmt und stürzt. Die Wendung ins Absurde (er will ein Flugzeug entführen und die Passagiere zur Arbeit im Dorf zwingen) bringt Regisseurin Sandra Schüddekopf mit kreisendem Licht und lärmendem Dröhnen auf die Bühne. (…)

Wiener Zeitung, 7.3.2017


Premiere der "Erfindung der Sklaverei" in der Drachengasse

(…) Der gebürtigen Leobnerin Kalss, der ihr Werk im Vorjahr eine Nominierung für den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts einbrachte, gelingen dabei viele eindrückliche Bilder. In Zeiten von beinahe größenwahnsinnig agierenden Staatsmännern und der anhaltenden Angst vor weiteren Flüchtlingsströmen wirft sie derartige Themen auf die kleinste Einheit zurück: einen namenlosen Ort in der Provinz. Hier dreht sich alles um "das idyllische Fleckchen Erde", das der Ort gefälligst bleiben soll.

Darüber wacht eine personifizierte Gemeinde (großartig: Petra Strasser), die sich wiederum mit allerlei Anträgen und Wünschen der Bewohner auseinanderzusetzen hat. Doch im Kleinen ist auch Bürokratie kein Problem und das Fördergeld schnell zugesagt. Ins Wanken bringt dieses Konstrukt die Ankunft von zwei Gästen - oder sind es doch Fremde? Ein Doktor (Gottfried Neuner) und "die Andere" (Nicola Trub) können nicht so schnell klar machen, ob sie nun Touristen oder Besucher sind. Denn eigentlich suchen sie ja Zuflucht. Wovor, das bleibt im Unklaren.

Für Unternehmerin Heidrun (Alexandra-Maria Timmel) kommen sie jedenfalls gerade recht, um in der neuen Geburtsklinik mitanzupacken. Sohn Gernot (Michael Köhler) wiederum, der in leuchtenden, riesigen Meerschweinchen als künftigen Reittieren des Menschen seine Lebensaufgabe sieht, will mit einer Flugzeugentführung helfen und mehr Personal heranschaffen. Klingt nach Terrorismus? Aber wo, für das Wohl der Gemeinde ist auch das denkbar - sagt die Gemeinde.

In diesen gut eineinhalb Stunden, die Regisseurin Sandra Schüddekopf dem Wahnsinn zwischen Screwball-Komödie und Gesellschaftskritik zugesteht, ist sich jeder selbst der Nächste. Die diversen Zeichen "von Wärme, Offenheit und Liebe", die gerne gepredigt werden, mischen sich zudem vorzüglich mit Angst und Wut. Wo Kalss richtigerweise den Finger in die Wunde legt, die Unsicherheit gegenüber dem Anderen, dem Fremden in unterschiedlichsten Facetten vor Augen führt, lässt sie im nächsten Moment aber stets eine Bombe platzen. Zeit, zur Ruhe zu kommen, gibt es hier nicht. (…)

Apa, 7.3.2017


Eine gechillte Gemeinde landet lustvoll im Desaster

Eine moderne Parabel auf Fremd- und Eigenheit hat Christiane Kalss mit "Die Erfindung der Sklaverei" auf dem Reißbrett entworfen wie eine österreichisch goscherte Variation von Lars von Triers "Dogville". Da ist die gierige Häuslbauerin (Alexandra-Maria Timmel) und ihr Reitmeerschweinchen züchtender Sohn - Michael Köhler wirkt durch Kostüm und Gehabe wie selbst eigens für die Rolle gezüchtet. "Die Gemeinde" in Gestalt einer gechillten Petra Strasser genehmigt im salbungsvollen "Wir" Anträge, zwei ZUgereiste (Gottfried Neuner, Nicola Trub) lassen sich wohl oder übel versklaven. (...)

Der Falter, 15.3.2017


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