Yellow Line

  • Juli Zeh / Charlotte Roos
  • Theater Drachengasse
  • 4. Mai – 6. Juni 2015
    Di-Sa um 20 Uhr


Foto: Andreas Friess

Nach den neuesten Entwicklungen im Herdenmanagement wird nicht ein-, sondern ausgesperrt.

Eine Kuh ist vom Himmel gefallen und hat sein Boot zerstört, behauptet ein nordafrikanischer Fischer. Für die Grenzschutzbeamten hingegen ist klar, er wollte nach Europa fliehen.

Nach Europa, in dem Helene sich zugunsten des Arabischen Frühlings als Kunstobjekt in einem Käfig an den Meistbietenden versteigert hat. Europa, das eben einen Medienhype wegen einer entlaufenen Kuh erlebt. Dem Helene und Paul entfliehen, um einen billigen Pauschalurlaub in einem nordafrikanischen Hotel zu machen. Ein Urlaub inklusive Räkeln am Pool und Schlemmen am Buffet für Helene. Ein Urlaub inklusive Gehirnwäsche in der Essensschlange und Abrichtung auf vorgegebenen Wegen für Paul, der sich schließlich am Flughafen befreit, indem er die gelbe Sicherheitslinie übertritt.

Dauer: 1h 35min

Hörprobe .mp3


Regie: Andrea Hügli
Bühne, Kostüme: Nikolaus Granbacher
Video: Petra Zöpnek
Lichtdesign: Gordana Crnko
Regieassistenz: Joefine Knauschner
Dramaturgieassistenz: Eva Sommer
Es spielen: Horst Heiss, Doris Hindinger, Volker König, Christina Scherrer

Rechte bei Rowohlt Theater Verlag, Reinbek/Hamburg



Foto: Andreas Friess


 

Teilnahme an den AKTIONSTAGEN 2015

Herdentiere zwischen Muuuh und Ohmmm

"Yellow Line" im Theater Drachengasse

Wien - Die perfidesten Gefängnisse sind die, in denen man sich frei fühlt. Doch der nordafrikanische All-inclusive-Club, in den ihn seine Freundin Helene verschleppt hat, macht Paul da fix nichts vor. Seine Blindheit ist vorbei. Paul weiß: Die künstlich geschlungenen Wege durch die Urlaubsanlage sind noch viel gerader, als es die geradesten Wege jemals sein könnten. Dass hier die rechten Winkel weggelassen wurden, soll nur darüber hinwegtäuschen, dass man sich in einem Gefängnis befindet. Dass ausgerechnet Helene, eine Künstlerin, die sich im Zuge einer Performance zugunsten des arabischen Frühlings versteigern ließ, das nicht kapiert, raubt dem Erleuchteten den letzten Nerv.

Den Diskussionen zwischen dem renitenten Cluburlauber und seiner Künstlerfreundin, die der Empörung längst überdrüssig ist, kann man derzeit im Theater Drachengasse beiwohnen, und zwar in der Sozialsatire Yellow Line (Regie: Andrea Hügli) von Charlotte Roos und Juli Zeh. Das aufgeweckte Vier-Personen-Stück thematisiert das "Herdenmanagement" moderner Gesellschaften ebenso wie dazugehörige individualistische Gegenentwürfe. Das Stück beackert - ähnlich wie Zehs Corpus Delicti 2013 in der Drachengasse - die Schattenseiten von Gesundheitssystem und Security-Standards. Dabei ist es selten brillant, aber meistens auch weit weg von blöd. Der Titel kommt von jener gelben Linie, die Paul auf der Rückreise den Kragen platzen lässt: Er sieht nicht ein, warum die paar "beliebigen Quadratmeter" hinter dem "Gummiband" Sicherheitszone sein sollen.

Yellow Line ist indes aktueller, als die Programmplaner ahnen konnten: Die Handlung beginnt mit der Festnahme eines nordafrikanischen Fischers, der beschuldigt wird, er habe nach Europa fliehen wollen. Dass eine fliegende Kuh sein Boot zerstört hat, glaubt ihm die Polizei nicht - und ebenso wenig, dass er eigentlich viel lieber nach Hause will. Bis geklärt ist, welche Art von Dämon das fliegende Rindviech war, vergehen 95 kurzweilige Minuten, in denen sich das tolle Ensemble (Volker König, Christina Scherrer, Horst Heiss, Doris Hindinger) auf einer Bühne mit drei Ebenen - auch akrobatisch - herzhaft verausgabt. In einer losen Szenenabfolge wird nicht nur die entlaufene Kuh Yvonne herbeizitiert, sondern auch im Spa die Verwandtschaft zwischen Muhen und einem meditativen Ohmmm sichtbar.

DER STANDARD, 5.5.2015


Europas Demokratie, ein Kuhstall

Eine Kuh fällt vom Himmel und haut ein Boot entzwei. Einer der beiden Männer, die dadurch ihre Schwimmfähigkeiten unter Beweis stellen müssen, wird vor Lampedusa aufgegriffen und muss nun erst einmal beweisen, dass er kein Flüchtling, sondern ein einfacher Fischer ist, und dass er gar kein Asyl, sondern zurück in seine Heimat möchte.

In Europa gehen inzwischen, parallel zur Suche nach der verschollenen Kuh, die Diskussion und vor allem die Verzweiflung über die zunehmende Infantilisierung der Gesellschaft vonstatten. Immer wieder taucht die Frage nach dem Wesen von Demokratie auf und der damit einhergehende Vergleich selbiger mit einem Kuhstall. Einem Kuhstall, in dem den Kühen bereits alle Möglichkeiten geschaffen wurden, sich selbst durch Melk- und Kratzmaschinen Befriedigung zu verschaffen. Wo das Glück der Einzelnen aus den auferlegten Verboten und Reglements resultiert. Denn die Kühe kennen die Verhaltensregeln und sind glücklich - Stichwort Herdenmanagement. Welches sich durchaus auf die Menschenwelt übertragen lässt. Die Menschen als Kühe also in diesem Stück von Juli Zeh und Charlotte Roos, und eine Gesellschaft, wo "Menschen nicht entscheiden, sondern wählen können". Die gelbe Linie, die nicht übertreten werden darf, als Symbol dieser Überreglementierung, der wir alle jeden Tag zum Opfer fallen. Ein aktuelles und wichtiges Thema, das in der Drachengasse mit viel Bahö aufgetischt wird, aber in dieser Eigenproduktion etwas zu chaotisch und schauspielerisch exzessiv-eintönig präsentiert wird.

WIENER ZEITUNG, 6.5.2015


Spielplan Januar 2022