von den beinen zu kurz

  • Katja Brunner
  • Theater Drachengasse
  • 27. Oktober – 22. November 2014
    Di-Sa um 20 Uhr

Eine zu kurz geratene Erwachsene war ich von Anfang an.

Es war einmal vor langer Zeit Vater Mutter Kind.
Ihr süßer zarter Körper hat ihn angezogen – beim Eincremen, beim Windel wechseln, beim Baden. Auch das Unfertige, das Ausgehungertsein nach Entwicklung.

Und sie, die Tochter, wollte dem Papa um alles in der Welt nahe sein. Sie hat die Decke zur Seite geschlagen und genossen. Das Gefühl, aus demselben Material zu sein. Die bedingungslose Liebe, die ihr in den Schoß gefallen ist. Die schweigende Übereinkunft.

Und sie hat sich gefürchtet. Wenn der Papa sie im Tiergarten allein gelassen hat und meinte, eine Memme mag niemand.
Ihm war schon klar, nicht jeder Vater küsst sein Kind zwischen den Beinen. Der Mutter auch. Doch lieber erzählte sie dem Arzt von einem Problemchen an heiklen Stellen, wohl vom Schwimmbad oder so.

Und wenn er sich nicht vom Felsen gestürzt hat und wenn sie nicht in eine Verzeih-Therapie gesteckt wurde, lieben sie sich noch heute. Vater Tochter Frau.


Regie: Margit Mezgolich
Regieassistenz: Tina Clausen
Bühne, Kostüm: Alexandra Burgstaller
Es spielen: Barbara Gassner, Anna Kramer, Gottfried Neuner, Petra Strasser

Rechte bei henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin

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Ö1 Kulturjournal 13. Oktober 2014

Nachwuchsautorin Katja Brunner im Porträt von Katharina Menhofer

Link: http://oe1.orf.at/programm/384984/

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Katja Brunner über  von den beinen zu kurz

https://www.youtube.com/watch?v=b0vfrrh07Dg

Quellenangabe: Video: Alexander Viktorin und Max Büch; «Theater heute»-Blog zu den Mülheimer Theatertagen NRW „Stücke“. http://www.theaterheute.de/blog/muelheimstuecke/

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Probenmitschnitt  vom 22.9.2014 von den beinen zu kurz

"von den beinen zu kurz" Hörprobe mp3

Kein Vater, keine Mutter, kein Kind

"Von den Beinen zu kurz" in der Drachengasse thematisiert sexuellen Missbrauch

Wien - Eine Kindertapete schimmert durch die weiße Farbe an den unordentlich übermalten Wänden. Rosa Luftballons sind im Raum verteilt und mit Gewichten befestigt, ihrer Schwerelosigkeit beraubt. Der erste Eindruck der Bühne (Alexandra Burgstaller) im Theater Drachengasse macht klar: Das Stück Von den Beinen zu kurz ist keine klassische Vater-Mutter-Kind-Geschichte.

Ein Vater vergreift sich jahrelang an seiner kleinen Tochter, und keiner will etwas gemerkt haben. In ihrem ersten Stück erzählt die erst 23-jährige Autorin Katja Brunner die beklemmende Geschichte von innerfamiliärem sexuellem Missbrauch.

Das gesellschaftliche Tabuthema wird von Brunners sprachgewaltigem Text gnadenlos gebrochen und durch die einzigartige Erzählform noch potenziert. Die Umstände des Missbrauchs verpackt Brunner in Form innerer Monologe ihrer Charaktere. Denn die Sprache dieser inneren Stimmen ist ambivalent - sie beschwichtigt, sie verleugnet und sie rechtfertigt.

Da gibt es zunächst den Vater, der Liebe beteuert. Den Arzt, der als Außenstehender gesellschaftlich repräsentativ seine Augen verschließt. Die Mutter, die in ihrer Tochter eine Rivalin sieht. Und schließlich die Tochter selbst, die die einzige Liebe, die sie je gekannt hat, nicht verlieren möchte. Die sagt, dass sie sich sogar nach den Berührungen ihres Vaters sehnt.

Regisseurin Margit Mezgolich lässt drei Frauen und einen Mann zu den Stimmen der Protagonisten werden. Diese weibliche Dreiheit entspricht nicht der Rollenteilung: Jede der Schauspielerinnen kann zur Stimme jeder Person im Stück werden. Jegliche Dichotomien werden somit aufgelöst: Es gibt weder Subjekt noch Objekt, keiner lässt sich als Täter oder Opfer kategorisieren.

Gerade diese Uneindeutigkeit macht das Stück so gewaltig. Die sprachlichen Gebilde werden zur Konstruktion einer eigenen Wirklichkeit - ständig ist der Zuseher aufgefordert, sich den Relativierungen, den Beteuerungen zu entziehen, eine eigene Definition von Täter und Opfer und eine eigene Perspektive herzustellen. Katja Brunner löst in ihrem Text keineswegs Gut und Böse auf - viel eher wird deutlich, wie gewillt wir sind, eben das selbst zu tun.

Die fulminante Inszenierung in der Drachengasse ist demnach vor allem der starken Textvorlage geschuldet. Brunner wurde für ihr Stück mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet.

DER STANDARD, 29.10.2014


Debüt mit beklemmender Inzest-Geschichte Kritik: Die österreichische Erstaufführung von Katja Brunners "von den beinen zu kurz".

Die junge Autorin Katja Brunner fasste gleich in ihrem ersten Stück "von den beinen zu kurz" ein heißes Eisen an: Eine inzestuöse Beziehung, in der das Opfer den Täter verteidigt. Dafür wurde die 1991 geborene Schweizerin im Vorjahr mit dem renommierten Mülheimer Dramatikerpreis belohnt, wo sie sich sogar gegen einen Jelinek-Text durchsetzen konnte. Ähnlich wie Jelinek lässt Brunner verwundete Existenzen in Textflächen agieren. Gedanken, Zitate und Dialogfetzen werden geschickt montiert.

Das Wiener Theater Drachengasse besorgte nun die österreichische Erstaufführung und wurde der Aufgabe mit Zurückhaltung (Regie: Margit Mezgolich) gerecht. Kürzlich hatte das Kosmos Theater bei der Umsetzung von Brunners "die hölle ist auch nur eine sauna" zu sehr auf Knalligkeit gesetzt.

Hölle im Märchenland

Rosa Luftballone, die Froschkönigmaske, eine Schatztruhe – viel mehr an Requisiten braucht es nicht, um zu zeigen, wie die Hölle im Märchenland Kindheit ausgebrochen ist – was aber niemand wahrhaben will. Am wenigsten die kleine Tochter, "eine zu kurz geratene Erwachsene von Anfang an". Die Berührungen des Vaters erscheinen ihr logisch. Eine beklemmende Situation, die von den Schauspielern (Barbara Gassner, Anna Kramer, Gottfried Neuner, Petra Strasser) stimmig gestaltet wird.

KURIER, 29.10.2014


Spielplan Januar 2022