Die Wolfsfrau

  • Eine Stückentwicklung von Lilian Matzke und Joris Löschburg mit dem Kollektiv Rolling Floyd
  • Theater Drachengasse
  • 6. Mai – 6. Juni 2019, Di-Sa um 20 Uhr
    Vorstellung auch am Mo, 27. Mai
    keine Vorstellungen am Do, 30. Mai, Fr, 31. Mai und Sa,1. Juni




















Sie war von einem Felsvorsprung ins Eismeer hinabgestoßen worden. Jahre waren vergangen, bis niemand mehr erinnerte, gegen welches Gesetz die Frau verstoßen hatte. So lag sie für lange Zeit am Meeresboden. Die Fische nagten ihr Fleisch bis auf die Knochen ab und ihr Gerippe wurde von der Strömung um- und um- und umgedreht. (nach: Die Wolfsfrau von C.P.Estés)

Sonnenaufgang. Eiswelt. Kalte Einsamkeit. Ewiger Alltag. Angepasstsein. Sicherheitsvorrichtung umspannen. Fischen. Eine Frau fischt und fischt und fischt. Nach Erfolg? Nach der großen Liebe? Nichts als leere Worte fischt sie, wieder und wieder. Was kann ihr Erfüllung bringen im Leben, wo sie doch ohnehin alles richtig macht? Die Tiefe des Ozeans verbirgt sich hinter nichts als Oberfläche. Was ruft? Seit Tagen hört sie einen bis auf ihre Knochen eindringenden Gesang. Sie will es wissen. Wieder wirft sie ihre Angel. Doch diesmal ist es anders. Sie hält den Atem an, ihr Herz pocht wild. Nicht sie ist es, die etwas aus dem Wasser zieht. Diesmal ist ihr, als zöge etwas im Wasser an ihr.

Nach (The) Rolling Floyd ist Die Wolfsfrau die zweite Arbeit der Jurypreis-Gewinner*innen des Nachwuchswettbewerbs 2014 im Theater Drachengasse.

Bildbau, Regie, mobile Bühnenobjekte: Lilian Matzke
Skript, Dramaturgie: Joris Löschburg
Bühne, mobile Bühnenobjekte, Kostüm Fischerin: Nora Pierer
Puppenbau: Lilian Matzke, José Falcao, Maya Fernandes Kempe*, Ana Baleia*
Kostüm Weltenlenkerin: Ana Baleia
Illustrationen: Julia Maltry
Beatboxing Coaching, Sounds: Lilly Janoska
Regieassistenz: Sarah Maringer
Es spielen: Wiebke Alphei, Friederike Hellmann

HÖRBEISPIEL mp3

*Wir bedanken uns bei Ateneu do Catorze für die Möglichkeit der Atelierbenutzung.

Rechte bei Rolling Floyd

lilianmatzke.com

Herz der Wolfsfrau

Poetische Bilder aus dem Eismeer in der Drachengasse

Eine Frau, alleine auf dem Meer. In einer Art Stelzenhaus wohnt sie über den brandenden Wogen, die meisten sanft, hie und da auch mit gewaltiger Wucht gegen ihr fragiles Glaslabor schlagen. Die Frau fischt. Ob aus Einsamkeit oder in einem Auftrag, erzählt Die Wolfsfrau nicht.

Täglich der Rhythmus: der Radiowecker mit alten "Hadern", die "News" der Welt, die sich im Leerlauf rhetorischer Phrasen verlieren, der Kaffee, zu dem die Frau einen Fisch isst.

Was sie sucht, auch das erzählt der vom Kollektiv Rolling Floyd unter der Leitung von Lilian Matzke (Regie und Bühnenobjekte) und Joris Löschburg (Skript und Dramaturgie) nahezu wortlos, bilder- und soundstarke Theaterabend "Die Wolfsfrau" nicht, der aus dem Siegerstück des Nachwuchswettbewerbs 2014 der Drachengasse entstanden ist. Zwei Puppenspielerinnen, Wiebke Alphei als "Fischerin" und Friederike Hellmann als "Weltenlenkerin", erzählen in 80 Minuten von den Absurditäten der täglichen Suche nach "großen" Antworten, die sich nicht im vielsprachigen Plastikmüll der Ozeane finden lassen, und der zärtlichen Begegnung zweier Menschen zwischen Zeiten und Mythen, Weltabfall und Meeresmusik.

Die Inszenierung bewegt sich in bewusst gebrochener Poesie zwischen Figuren- und Materialtheater, projizierten Illustrationen und animiertem Trickfilm. Am Ende tanzen die Fischerin und die im Plastik verfangene Knochenfrau zu Peter Cormelius. "Du entschuldige, i kenn di". Ein lyrischer Abend mit intensiven Momenten.

Wiener Zeitung, 10. 5. 2019


„Die Wolfsfrau“ im Theater Drachengasse: Bildstarke Begegnung in den Untiefen des Ozeans

„Die Wolfsfrau“ ist der Titel einer Sammlung von rund 20 Märchen und Mythen, die die US-amerikanische Schriftstellerin Clarissa Pinkola Estés in den frühen 90er Jahren veröffentlicht hat und die in weiterer Folge ein Bestseller wurde. Darin enthalten ist die Legende um „Die Skelettfrau“, eine Geschichte, die sich um ein Mädchen rankt, das wegen eines Vergehens von einem Felsvorsprung ins Eismeer hinabgestoßen wurde. Für lange Zeit lag die junge Frau nun auf dem Meeresboden, bis die Fische sie bis auf die Knochen abgenagt hatten, und ihr Gerippe drehte sich mit der Strömung kontiniuerlich von einer Seite auf die andere.

Diese Erzählung bildete die Inspirationsgrundlage für die faszinierend Stückentwicklung „Die Wolfsfrau“ von Lilian Matzke (Bildbau, Regie, mobile Bühnenobjekte) und Joris Löschburg (Skript, Dramaturgie) mit dem Kollektiv Rolling Floyd, die im Theater Drachengasse ihre Uraufführung erlebte. Eine Fischerin, so wird die Handlung weitergeführt, wird durch den anhaltenden Gesang der Skelettfrau aus ihrem Alltag herausgerissen. Mitten im größten Sturm fährt sie mit dem Boot hinaus auf den Ozean, kentert, und plötzlich ist es nicht sie, die einen Fang macht, sondern die Skelettfrau hat sich die Fischerin gleichsam geangelt.

Rolling Floyd gelingt in der Drachengasse ein bildstarker Theaterabend, der nachwirkt: Wiebke Alpheis Aktionsradius als Fischerin im grauen Overall erstreckt sich auf ihre Heimstatt (Nora Pierer hat einen erhöhten Plexiglaskasten mit vielen Utensilien detailreich ausgestaltet) und auf das offene Meer, ohne Worte zu artikulieren, dafür mit umso mehr Körpereinsatz und -sprache („Das Meer spricht“, meint Regisseurin Lilian Matzke erläuternd im Programmheft, „Der Mensch schweigt.“) Wie selbstverständlich setzt sich Alphei in ein Faltboot auf einem rollenden Tisch und manövriert sich mit einem Paddel durch den Bühnenraum. Die Fische, die sich in den Fangkörben tummeln, sind aus Kunststoff, tragen aber Aufschriften wie Eine leere Dose“ und werden von der Fischerin unbarmherzig erschlagen. Die Botschaft hinter den Worten übersieht die Fischerin in ihrer Gier.

Ihr gegenüber hat die Weltenlenkerin die Fäden in der Hand. Friederike Hellmann agiert einerseits als Puppenspielerin und hält andererseits ein ganzes Depot an technischem Equipment bereit, mit dem sie grandiose Wirkungen – visuell wie akustisch – erzielt: von Illustrationen (Julia Maltry), die via Overhead-Projektor das Geschehen bebildern, bis hin zu Beatboxing und dem Sausen des Orkans, bei dem das Publikum unterstützend eingreifen darf. Poetisch muten die Bilder des aufgehenden Mondes und des Meeres mit seinen vielen Worten an (Stille, Mut, Makrele). Zeitweilig wird auch noch eine Windmaschine eingeschaltet, und das ganzen Stück über ist das trommelnde Geräusch eines Eisblocks, dessen Schmelzwasser auf eine metallene Unterlage tropft, zu hören.

Wenn die Fischerin die Skelettfrau mit in ihr Zuhause bringt, nimmt der Abend auch humorvolle Züge an. Sukzessive werden die einzelnen Knochenpartien wieder zusammengesetzt, das Gerippe bekommt Leben eingehaucht, und sein Herz schlägt wieder. Schlussendlich erfreut sich die Skelettfrau an Peter Cornelius’ Evergreens, zu Du entschuldige, i kenn’ di wird in der beengten Bleibe der Fischerin noch ein wenig getanzt, bevor das Licht ausgeht.

„Die Wolfsfrau“ beeindruckt als geist- und ideenreiches, bezauberndes  und verblüffendes Bildertheater, das dem Publikum viel Freiraum für Gedankenspiele zulässt – unbedingt sehenswert!


Theater Drachengasse: Die Wolfsfrau
Das Skelett steht auf Peter Cornelius

Los braust die Ouvertüre, und mit ihr alle Elemente, womit nicht nur Wind und Wasser gemeint sind, sondern auch die, die „Die Wolfsfrau“ zu einem der berückendsten Bühnenzauber machen, den man seit längerem gesehen hat. Ein Motion Comic erzählt die Inuit-Sage von der Frau, die von einem Felsvorsprung ins Eismeer gestoßen worden war, wegen eines angeblichen Gesetzesbruchs, an den sich allerdings keiner mehr erinnern kann. Da sitzt sie im nassen Grab, erst nackt und mit blutendem Herzen.

Bald von den Fischen bis aufs Gerippe abgenagt, und sie singt. Licht fällt auf die gläserne Hütte einer Fischerin. Sie wird von der betörenden Melodie seit Tagen bis auf die Knochen durchdrungen. Also fährt sie im tobenden Sturm hinaus, ihr Boot kentert, diesmal ist nicht sie es, die etwas aus den Fluten zieht, sondern etwas in ihnen zieht an ihr – und da sieht sie die Skelettfrau, die sich ihrer bemächtigt hat … Ihre kühne Verquickung von Schau- und Puppenspiel, mobilen Bühnenobjekten, Beatboxing und animierten Illustrationen machen Lilian Matzke und Joris Löschburg mit dem Kollektiv Rolling Floyd nun zum Theaterereignis in der Drachengasse. Inspiration der Stückentwicklung ist die Mythen- und Märchensammlung „Die Wolfsfrau“ der US-Autorin Clarissa Pinkola Estés.

Ein Sachbuch, das Frauen dazu anleitet, sich auf ihre ungezähmten Urinstinkte zurückzubesinnen. „Die Skelettfrau“ ist daraus eine Geschichte von zwanzig, die sie, sagt Regisseurin Lilian Matzke im Gespräch, wegen der starken Bildsprache anziehend fand – und weil sie stets selbst auf der Suche nach ihrer „Wildnatur“ sei. Heißt: Intuition, Instinkt, innere Stimme neu zu ermächtigen, und sich so ein neues, ein richtiges Sehen und Hören anzueignen. Was, interpretiert Matzke, auch der Fischerin in der Begegnung mit der Ahnin gelingt. Weitere Deutungen von Wahnsinn einer Einsamen bis Sinneserlebnis einer Ertrinkenden lächelt sie weg, sie will dem Publikum so viel Gedankenfreiraum wie möglich geben.

Dies wird denn auch von „Weltenlenkerin“ Friederike Hellmann freundlich um Unterstützung gebeten, damit der Orkan so richtig wüten kann. Der Skelettpuppenspielerin und Performerin, Matzke nennt sie den Licht- und Soundninja des Teams, weil ihr die Handhabung der gesamten Technik von Overheadprojektoren bis Loop-Station obliegt, steht Wiebke Alphei als Fischerin gegenüber, und verausgabt sich die eine, erschöpft sich die andere. Multikünstlerin Alphei, die für sich nichts weniger als die Berufsbezeichnung „Schauspielerin“ will, bewältigt den körperlichen Kraftakt, ihr tatsächlich papierenes Origamischiffchen per Paddel und Rollwagen über die Spielfläche zu „rudern“ oder lässt sich am Seil ihrer Korbreusen in die Tiefe hinab.

Gegen die von Windmaschine und Zuschauern produzierten Naturgewalten kann sie sich nur pantomimisch stemmen, denn Worte sind der Fischerin nicht gegeben, die Inszenierung verwendet das Bühnenmaterial als Sprache. Die Geräuschkulisse bilden etwa ein tropfender Eisblock, das schlagende Herz, gegen ihr Erschlagen-Werden aufbegehrende Klarsichtfolien-Fische, auf ihnen aber auch vermerkt die Begriffe Bierflasche, Plastikmüll, Menschenrechte oder Trümmer Europas, als kippe gleich dem Innenleben der menschlichen Protagonistin auch die sie umgebende Welt.

Aus ihrer Schwimmweste entweichende Luft klingt nach einem befreiten Ausatmen, denn im Untergehen löst sich die Fischerin von ihren Alltagsritualen. Die Aufführung ist mit so viel überbordender Fantasie ausgestattet, man weiß schier nicht, was zuerst aufnehmen und wirken lassen. Schließlich nimmt die Fischerin die Skelettfrau mit in ihre Behausung, und einige Zeit kann man sich einer apokalyptischen Endzeitstimmung nicht erwehren, wenn die beiden wie ein Memento Mori nebeneinander sitzen. Aber, ein Glück!, der Theaterabend hat mehr Witz als das Buch. In die Totenfrau kommt Leben, was Wiebke Alpheis Fischerin zwischen Angst und Anziehung und vor allem hochkomisch und zutiefst gegruselt zur Kenntnis nimmt.

Gefütterte Fische fallen zur Verwunderung beider durch das Bauchloch im Gebein, aber dann entdeckt die Puppe das Radio – und entpuppt sich als Fan von Peter Cornelius‘ „Du entschuldige i kenn di“. Was bleibt der Fischerin da anderes übrig, als: Schwofen mit dem Skelett. Sonnenuntergang und endlich stille See und zum Schluss die Frage, ob zweitere nicht doch noch ein Opfer verlangt … „Die Wolfsfrau“ im Theater Drachengasse ist eine Staunen machende Sensation, die man gesehen haben sollte.

mottingers-meinung.at, 7.5.2019


Spielplan Januar 2022