X Jahre Kriegsfreiheit

  • Siegerprojekt des Nachwuchs-Theater-Wettbewerbs 2013 – Jurypreis
  • Bar&Co
  • 5. – 17. Mai 2014
    Di-Sa um 20 Uhr





Ich will kein Praktikum machen,
ich will jemanden aus dem Kugelhagel ziehen
.








 


Thazar und Kater verbringen einen Abend am Gänseteich, trinken Schnaps und reden über das Leben. Kater ist ein zufriedener Gänsezüchter, der seine Tage am Tümpel zubringt und den nur kümmert, dass seine Vögel zulegen. Thazar ist ein Städter und kann mit der Natur nicht sonderlich viel anfangen. Er lässt sich von Kater mitziehen, vom Teich in die Wälder, auf exzessive Partys in alten Fabrikgebäuden. Gekränkt von der eigenen Bedeutungslosigkeit, ohne Ziel, ohne inneren Auftrag, hängt Thazar im leeren Raum und lässt alles über sich ergehen. 

Was tun, wenn einen Wohlstand und Möglichkeiten überfließen, aber nichts davon mehr wirklich befriedigt? Das irritierende Gefühl, das aufkommen kann, wenn ein Krieg für lange Zeit ausbleibt. Die Bedürfnisse sind erfüllt, das Begehren ist abgeschwächt. Im Dauerzustand des Genießens angelangt, liegt nichts ferner als echter Genuss. Thazar, Jahrgang 198x, wurde im Frieden geboren. Im Individualismus findet er keinen Platz. Den Krieg kennt er nur aus Geschichtsbüchern und Exilliteratur. Doch angesichts seiner vermeintlichen (Über)freiheit entwickelt Thazar schließlich eine regelrechte Lust auf Unfreiheit.
 


Text: Leon Engler 
Regie: Michael Schlecht 
Regieassistenz: Moritz Maliers
Es spielen: Wojo van Brouwer, Steve Schmidt, Mira Tscherne


X Jahre Kriegsfreiheit - Trailer

Das Stück über die Generation Y hatte am Montag Uraufführung

Wien - Mit Generation Y (gesprochen und gemeint wie: why) bezeichnet die Soziologie jene jungen Menschen, die in den Achtzigerjahren geboren wurden und denen ausgerechnet durch die Lethargie des Wohlstands die gröbsten existenzielle Probleme erwachsen. Florist in Florenz oder Schuster in Schanghai: nichts scheint den "Millennials" heutzutage unmöglich zu sein.

Mit einem Stück über das daraus erwachsende Sinnlosigkeitsempfinden (eine Überforderung im Angesicht der scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten) hat der junge Autor Leon Engler im Vorjahr den Nachwuchswettbewerb des Theaters Drachengasse gewonnen. X Jahre Kriegsfreiheit hatte am Montag in der Regie von Michael Schlecht Uraufführung; und der Abend hatte nicht nur der Generation Y etwas zu sagen. In kleinen, überraschenden Manövern durchstreift das Dreipersonenstück die Innenwelt des Endzwanzigers Thazar (Steve Schmidt).

Dieser dümpelt in Gleichmut dahin, immer wieder provoziert von seinem Freund und Gänsemäster Kater (Wojo van Brouwer) und irritiert von Hilaria (Mira Tscherne), einer rätselhaften Partybekanntschaft. Ein diskussionswürdiger Schlüsselsatz lautet: "Es wird nicht besser, denn es ist schon gut." Küchenphilosophische Banalität wird dennoch klug umschifft. Der Abend bleibt unberechenbar.

Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 7.5.2014


Katalog der Ängste

Inwieweit Theater als Spiegel der Gesellschaft herhalten kann und soll, wird gerne diskutiert und kann hier mit Sicherheit nicht beantwortet werden. Aber es gibt Stücke, bei denen man mitunter das Gefühl hat, dass einem die Texte der SchauspielerInnen aus der Seele sprechen.

„X Jahre Kriegsfreiheit“ (Theater Drachengasse) und „Skinned“ (Off Theater) sind solche Stücke: zwei aktuelle theatralische Bestandsaufnahmen über die Befindlichkeiten unserer von Zukunftsängsten geplagten Wohlstandsgesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Ein Jahrhundert, in dem wir zumindest in Österreich in Frieden leben. Noch, denn die Angst ist groß, dass die Epoche des Wohlstands einmal zu Ende gehen könnte. Groß ist auch die Angst vor Krankheit, Schmerzen, dem Verlust eines geliebten Menschen uvm. Kurzum: Es gibt unzählige Ängste, denen man sich als Mensch täglich zu stellen hat. (...)

Mit einem erstaunten Wow hat man hingegen als ZuseherIn in der Drachengasse zu rechnen. Noch bis 17. Mai gastieren die GewinnerInnen des Nachwuchs-Theater-Wettbewerbs Drachengasse 2013 im Bar-Theater-Raum des Hauses. Und schlecht war bei der Premiere wirklich nur die Sicht. Texte, Inszenierung, schauspielerische Leistung überzeugten. Vor allem Wojo van Brouwer spielt den lebensbejahenden Kater auf Teufel komm raus. Ihm als Kontrast steht die eigentliche Hauptperson Thazar (Steve Schmidt), ein typischer Vertreter der so genannten Generation Y: jung, erfolgreich und doch orientierungslos – denn zu groß, zu vielfältig scheinen die Möglichkeiten in einer mit ihrer Globalität den Einzelnen überfordernden Welt. Und so wird aus „X Jahre Kriegsfreiheit“ ein Generationenstück über eine Gesellschaft, die irgendwo zwischen Technoparty, sozialem Gewissen und kapitalistisch gefärbtem Erfolgsstreben den Boden unter den Füßen verloren hat. Wiedergefunden wird dieser gegen Ende des Stücks – trotz einer unüberblickbaren Vielzahl an Möglichkeiten – am eigenen kleinen Grundstück mitsamt Gänsen in der Wiese. Oder doch nicht? Reicht es zum Glück, – wie auch das Publikum stellenweise – in seiner Lebensart zur Gans degradiert zu werden? Fragen, die Autor Leon Engler (Jahrgang 1989) stellenweise mit Sätzen von einprägender Schönheit behandelt. Auch wenn Diskussionsbedarf über Sätze wie „die Existenz ist eine Hure, die sich jedem hingibt, aber niemanden befriedigt“ besteht, schön ist er allemal.

(www.wieninternational.at)


(Eis-)kalte Suche nach Sinn Rund um eine tiefgefrorene, langsam auftauende Gans spielt ein Bühnentrio fast existenzialistisch.

Eine noch eingefrorene Gans mitten auf der Bühne. Ein Nachttopf mit Getreidekörnern, ein Blechkübel, ein gläserner Aschenbecher, eine Glasflasche, ein Sessel, eine E-Gitarre – an den Rändern verteilt. Also eher leer. So leer wie sich die Hauptfigur Thazar fühlt, der mit seinem Auftritt den Tod der Gans betrauert: „Ich wollte dich nicht töten!“ Mit dem Einfrieren aber werde, so verspricht er ihr, werde alles wieder gut, die Verhältnisse würden sich stabilisieren. Die Anfangsszene steht für seine gesamte Suche, sein Sehnen – nach Stabilität, nach Halt in seinem Dasein und dem Leben, das ziel- und planlos ist. Im Wohlstand, in der langen Zeit des Friedens, fühlt sich der junge Mann verloren. Eine Anspielung an die EU?

Sein älterer Kumpel, genannt Kater, scheint zufrieden zu sein: Gänse so weit das Auge reicht. Nur zu dürr seien sie. Sollten mehr fressen – immer wieder schleudert er Körner ins Publikum. Alles sei erreichbar trägt er seinem nach Sinn suchenden Freund an. Und offenbart unfreiwillig, selbst doch nicht so zufrieden zu sein, wie er vorgibt. Ein Krieg würde helfen, Struktur geben, meint dieser „Kater“.

Abwechslung ins ewige – vom System her gleich bleibende – Hin und her zwischen Sinnsuche und angeblicher Halt gebender Position bringt eine mehrmals kurz auftretende Frau namens Hilaria. Insbesondere in der phasenweise skurril bis fast garstig verlaufenden nahen Begegnung mit Thazar schwingen zum einzigen Mal echt wirkende Gefühle in der kalten Szenerie des Stücks mit.

KURIER, kiku, 15.5.2014



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