Kommt mir spanisch vor

  • Bar&Co
  • 17. Oktober, 16. November, 7. Dezember 2016 um 20 Uhr
  • Marie-Thérèse Escribano


























 



„Ihr spezieller Witz, gepaart mit Eigenironie und kritischer Intelligenz faszinieren.“
(dieStandard.at)

Österreich ist frei.
Wien 1955: Eine spanische Musikstudentin kommt nach Wien, um hier, in der Stadt der Musik, ihrer Stimme den letzten Feinschliff zu geben.
Ihr Name: Marie-Thérèse Escribano.
Sechzig Jahre später erzählt die Wahlwienerin unter Zuhilfenahme alter Tagebücher und vergilbter Briefe über diese Zeit, bietet mit ihrem gewohnten Humor eineinhalb Stunden unterhaltsamen Geschichtsunterricht – der Jeep mit den vier Besatzungssoldaten, Figls bekannter Ausspruch, strenge Winter bei minus 20° und die herzliche Aufnahme der armen ausländischen Studenten an der Musikakademie – ein Geschichtsunterricht, der auch die braunen Flecken, die unter einer tiefen Kruste lagen, sichtbar macht.
Eine aufregende, viel bejubelte Erzählung.
Ein Zeitzeugnis.

Von und mit: Marie-Thérèse Escribano

escribano.at

Interview von Petra Paterno

"Mörderisch für die Stimme"

Marie-Thérèse Escribano über das Wien der Nachkriegsjahre, die Tücken der neuen Musik und die Last des Alters.

"Ich wurde in Wien sehr warmherzig aufgenommen", sagt Marie-Thérèse Escribano.

"Wiener Zeitung": In Ihrem jüngsten Stück "Kommt mir spanisch vor" erzählen Sie aus Ihrem Leben. Sie sind 1955 nach Wien gekommen. Wie war das damals?

Marie-Thérèse Escribano:Für mich war es toll. Ich habe Gesang studiert und wurde sehr warmherzig aufgenommen.

Die Stadt trug noch die Spuren der Verwüstung durch den Krieg?

Natürlich, das Kriegsende lag erst zehn Jahre zurück. Die ganze Stadt sah aus wie eine Kulisse für den Spielfilm "Der dritte Mann". Das Straßenbild war geprägt von Kriegsversehrten. Sogar in meiner Klasse an der Akademie gab es einen Studenten, der nur ein Bein hatte. Als 14-Jähriger wurde er zu Kriegsende noch eingezogen. Er hatte eine Prothese und rutschte häufig aus, wir haben uns im Unterricht ja viel bewegt. Er sprach nie von seiner Verwundung. Überhaupt wurde - soweit ich das beobachten konnte - nicht viel vom Krieg gesprochen.

Sie sind in Paris geboren und wuchsen in Madrid auf. Wie erinnern Sie sich an das FrancoRegime der 1930er und 1940er Jahre?

Auch davon erzähle ich in meinem Stück. Mein Vater hegte zwar eine gewisse Sympathie für die Republikaner, aber meine Familie war nicht politisch aktiv, daher waren wir persönlich nicht von Repressalien betroffen. Aber ich hatte Freunde, die es schwer hatten. Allein, wenn man Flugzettel gegen das Regime verteilte, kam dies einem Todesurteil gleich. Das Franco-Regime mag weniger perfekt durchorganisiert gewesen sein als Hitler-Deutschland, aber es war effizient genug. Viele Menschen wurden damals in der Nacht abgeholt und waren nicht mehr gesehen. Schlimm war auch, dass die Kirche mit Franco paktierte. Die katholische Kirche war und ist in Spanien ein großer Machtfaktor. Die Unterdrückung war überall zu spüren, das war mit ein Grund, warum ich das Land verlassen wollte.

Was war für Sie ausschlaggebend?

Als meine Eltern gestorben waren, gab es nichts mehr, das mich dort gehalten hätte. Zunächst ging ich zum Gesangsstudium nach Belgien. Dort besuchte ich ein Gastspiel der Wiener Oper - und war wie elektrisiert. Ich spürte: Ich muss nach Wien.

Bekannt wurden Sie als Interpretin neuer Musik. Wie kam es dazu?

Das war ein irrsinniger Glücksfall. Die Szene für diese Art von Musik war unheimlich klein. Ich hatte schon während des Studiums einen Draht zum Zeitgenössischen, aber das wollten nur wenige singen.

Warum?

Es ist mörderisch für die Stimme. Es ist wie eine hochkomplexe Stimmakrobatik: Einmal singt man hoch, gleich darauf wieder tief, es hat oft keine Linie, man muss den Atem extrem halten und so weiter, dabei kommt es leicht zu Verspannungen. Wenn ich heute Sachen höre, die ich damals gesungen habe, frage ich mich, wie ich das gemacht habe.

Bis heute wird besonders Ihre Interpretation von Schönbergs "Pierrot Lunaire" geschätzt. Damit gastierten Sie an den großen Opernhäusern der Welt.

Das habe ich mit Cerha einstudiert. Wir haben es als Sprechgesang erarbeitet, ehemalige Schüler von Schönberg haben uns Ezzes gegeben.

Sie waren Mitglied der Gruppe "Die Reihe" der Komponisten Kurt Schwertsik und Friedrich Cerha. Als Sängerin gehören Sie zu den Pionierinnen neuer Musik. Wie war das damals?

Es war ein Kampf. Wir wurden von allen Seiten kritisiert und in Frage gestellt. Zu den Konzerten kam ein intellektuelles Publikum, die haben unsere Arbeit geschätzt, aber es war nichts für die breite Masse.

Warum hat es die neue Musik bis heute so schwer, etablierter Teil des Konzertrepertoires zu werden? Ist das Klassik-Publikum besonders konservativ?

Es gibt solches und solches Publikum. Mir gefällt auch nicht alles, nur weil es neu ist - oder berühmt. Als ich zum ersten Mal ein Musikstück von Johann Sebastian Bach gehört hatte, mochte ich es überhaupt nicht. Alle Welt bewundert Bach und mir gibt das gar nichts? Das kann doch nicht sein! Also habe ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Bach-Konzert besucht, bis ich einmal eine Aufführung der Brandenburgischen Konzerte hörte, die mich richtig packte. So ist es mit der Musik: Man muss sich reinhören, sich daran gewöhnen, dann vermag sie einem neue Horizonte zu erschließen. Das kann wie eine Erleuchtung sein.

Warum haben Sie mit der Avantgardemusik aufgehört?

Ich habe es lange sehr gern gemacht und dann das Interesse daran verloren. Ich habe anderes gemacht: Alte Musik, feministisches Theater, Solo-Programme und Workshops zur - wie ich es nenne - Stimmbefreiung.

Sie sind 1926 geboren, wie blicken Sie auf das vergangene Jahrhundert zurück?

Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, dass die Menschen so wenig aus der Geschichte gelernt haben. Manches hat sich verbessert, vor allem für uns Frauen. Wir können heute viel freier unser Ding machen als früher, aber vieles liegt immer noch im Argen. Die Menschen sind viel zu egoistisch, es sollte mehr Solidarität geben für die Mitmenschen und den ganzen Planeten.

Wie denken Sie über das Alter?

Es ist eine Herausforderung. Ich achte auf meine Gesundheit, bleibe aktiv und versuche, mir nicht zu viele Sorgen zu machen. Mich stört, dass viele mich bevormundend behandeln, wenn sie mein Alter erfahren. Ich will ganz normal behandelt werden.

Wiener Zeitung, 5.12.2016


Spielplan Januar 2022