Anfangen

  • Ein Gastspiel von Theaterblau
  • Thomas Kamper
  • Bar&Co
  • 7. – 19. Dezember 2015
    Di-Sa um 20 Uhr





















PI: Glaubst du, dass etwas entstehen wird?
LI: Ich bin sicher.
PI: Für wen? Für die Menschheit?
LI: Wir werden nicht aufdringlich sein. Wir hocken uns in eine Ecke der Welt und
     warten, bis man  uns bemerkt.


Drei Frauen setzen ihr Leben zurück auf Anfang.
Sie ziehen sich aus der Welt in eine Wohnung zurück, um bei null wieder zu beginnen. Doch das Neu-Anfangen wird ein wörtlich zu nehmendes Spiel mit dem Feuer. Denn sie sind keine unbeschriebenen Blätter, sondern Seiten eines Stückes, die der Sturm des Anfangen-Wollens komödiantisch auf die Probe stellt.


Regie: Thomas Kamper
Musik: Hans Wagner  Raum: Mathias Lenz
Es spielen: Pippa Galli, Michaela Hurdes-Galli, Julia Schranz


Das Projekt wird gefördert durch die Kulturabteilung des Magistrats der Stadt Wien.


Thomas Kamper inszeniert sein Stück Anfangen in der Drachengasse
mottingers-meinung-at

 

Theater Drachengasse: Thomas Kampers „Anfangen“
Das virtuos gespielte Kabinettstückchen

Es muss natürlich mit einem Vorspiel auf dem Theater beginnen. Im Halbdunkel. Als Hör-Spiel. Drei Stimmen. Ein Vorsprechen. Und die Frage: Vorbereitet sein oder im Augenblick sein? Oder ist man im Augenblick, wenn man sich vorbereitet? Anmut oder Armut – das ist hier die Frage.

Thomas Kamper hat ein Theaterstück geschrieben, „Anfangen“, und hat es im Theater Drachengasse selbst inszeniert. Damit ist Wien um einen wunderbaren Autor und Regisseur reicher. Eine grindige Wohnküche steht auf der Bühne, ein mit Kaffeemaschine und Abwasch voll funktionsfähiges Endzeitkabinett, und darin läuft ein virtuos gespieltes Kabinettstückchen. „Anfangen“ erzählt von drei Frauen, die genau das nicht können. Also geht es um Abbruch und Wiederbeginn, um Alkohol und Zigaretten. Man befindet sich mitten in dem, was man eine Stückentwicklung nennt, nur, dass sich nichts entwickelt. Also wird philosophiert über Rausch und Nüchternheit.

Die drei Frauen, lässt sich mutmaßen, sind Schauspielerinnen. Sie haben sich der Welt und den von ihr auferlegten unentwegten  Probenprozessen entzogen, um eine bessere zu suchen, eigentlich zu schaffen. Zwischen Mager-, Trunk- und der Sucht, Feuer zu legen. „Wir haben abgesagt, wir haben entschieden uns abzukapseln, um von drinnen zu sehen, was draußen ist“, sagen sie sich vor. Ein Absurdes Theater, das da abläuft. Denn die Welt lässt sich freilich nicht ausschließen – siehe Straßenlärm in den leisesten Momenten. Wie die Kunst in das Leben sickert, so auch umgekehrt … Das Projekt, das die drei Schauspielerinnen in der Wohnküche zusammengeführt hat, holt sie jedenfalls ebenso wieder ein, wie der ihm zugrunde liegende Text von ihnen eingeholt wird. Ins Textbuch schreiben sie während ihres Divenkriegs – die „Irina“ in Wien gewesen zu sein, schlägt selbstverständlich die Gestaltung der Rolle in St. Gallen – wie Klassenbucheinträge. Nicht, um eine Klischeeschublade zu, sondern um eine Gedankentür auf zu machen, könnte man’s etwa so erklären: Drei Schwestern warten auf Godot.

Thomas Kamper beschreibt das alles mit einem sehr eigenwilligen, feinsinnig-schwarzen Humor. Er lässt seine Figuren durch alle Tiefen und Untiefen des Künstlerdaseins waten. „Anfangen“ ist ein großartiger Beschluss über seinen Berufsstand und dessen Randerscheinungen. Dazu gehört auch, dass Michaela Hurdes-Galli in Selbstironie ihren angegrauten „Förderpreis zur Kainzmedaille“ küsst und kost. Sie bildet mit Pippa Galli und Julia Schranz das verteufelt verzweifelte Trio, das sich um ein paar Chipstüten schart, deren Inhalt geprüft und verkostet wird wie edler Wein. An einigen Merkmalen sind sie festgemacht, diese Clowninnen, allesamt auch fabelhaft als Artistinnen, wie eine Stuhlaufklapp- und eine Kaffekochzeremonie belegen. Galli ist die mit dem Putzfimmel, eine federleichte Fee, der die Welt bestenfalls kaleidoskopartig erscheint. Schranz die burschikosere, körperliche, die von Unruhe getrieben über die Bühne turnt. Hurdes-Galli hat sich ihrem Selbst in Selbstverliebtheit ergeben. Als Aggregatzustände wären sie fest, flüssig und flüchtig.

So entspinnt sich ein überspanntes Hin und Her, ein Auf und Ab der Emotionen, an dessen Höhepunkt der Handstaubsauger alleine laufen darf. Kamper versteht es, Komik punktgenau einzusetzen. Es macht ja immer surreal viel Spaß anderen dabei zuzusehen, wie sie sich abmühen. Das Publikum in der Drachengasse war hellauf begeistert ob der Entdeckung dieses neuen Dramatikers – wiewohl Thomas Kamper vor seinem Engagement im Volkstheater-Ensemble als solcher schon gewirkt hatte. „Wenn wir einen Anfang haben, geht es von selbst“, sind seine drei Frauenfiguren sich sicher. Dann laufen sie bei der Tür hinaus. Hoffentlich in die nächste Kamper-Arbeit hinein. Denn was ihn betrifft, lässt sich mit großer Freude sagen: Er ist gerade beim „Anfangen“.


Michaela Mottinger, mottingers-meinung.at
8.Dezember 2015


Drachengasse: Drama-Damen auf Entzug

Eine recht vielversprechende Uraufführung: das Kammerspiel "Anfangen" von Thomas Kamper.

Stark gebraucht ist die einfache Wohnküche, die im Kammerspiel „Anfangen“ auf der Bühne des Theaters in der Drachengasse steht. Das Licht geht aus, man hört aus dem Off die Stimmen junger Frauen. Offenbar handelt es sich um Schauspielerinnen, die vorsprechen wollen. In wenigen Sätzen wird in dem Stück von Thomas Kamper (der bis vergangenen Sommer Ensemblemitglied des Volkstheaters war) all ihr Hoffen offenbar, auch Niederlagen ahnen sie, sind verunsichert. Sollen sie frei improvisieren oder brav Text vortragen, gar in gebundener Sprache? Sie wissen es nicht. Das Licht geht an, drei Dramen-Damen trudeln in der Wohnung ein.

Rockmusik: „Do you know that bad girls go to hell?“ Das Casting war anscheinend erfolglos. „Wir haben abgesagt!“ Sie sind entschlossen, sich abzukapseln, neu anzufangen, kreativ zu sein. Drei prägnante Charaktere: Pi (Pippa Galli) ist putzsüchtig und leidet an Essstörungen: Kartoffelchips verdrückt sie nicht, sondern leckt nur daran. Ihre äußerlich robuste, doch sensible Freundin Li (Michaela Hurdes-Galli) hat andere Probleme. Sie raucht, trinkt, hat einen schwachen Magen. Schließlich kommt auch noch Lu (Julia Schranz) dazu. Die sucht eine Übernachtungsmöglichkeit, weil sie die eigene Wohnung angezündet hat. Bald spielt sie auch hier mit Zündhölzern.

Tschechows „Drei Schwestern“

Die Frauen eint, dass sie die „Drei Schwestern“ lieben, vor allem die Rolle der Irina, die zwei von ihnen sogar einmal gespielt haben – eine in Wien, eine in Sankt Gallen. Tschechows Meisterstück ist ihr Sehnsuchtsprojekt. Ihm kommen sie aber an diesem Abend nicht näher. Es wird gestritten, gedichtet, gezeichnet, Gitarre gespielt, gezündelt. Zudem kommt Eifersucht auf. So leben also moderne Künstler in prekären Verhältnissen. Da geht nicht viel. Der „Anfang“ wird von der Vergangenheit eingeholt. Kamper stellt die Frauen jedoch nicht bloß, sondern nähert sich diesen offenbar gerade hoffnungslos Hoffenden in ihren absurden Handlungen mit feiner Ironie, auch wenn sich nicht alle Gags erschließen. Man muss sich diese Lebenskünstlerinnen glücklich denken.

„Anfangen“ ist eine Produktion von Theaterblau als Gastspiel in der Drachengasse. Termine: 11. und 12. sowie 15. bis 19. Dezember, jeweils 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)


"Anfangen": Belehrstück über die Tatenlosigkeit
In der Drachengasse versumpern drei Schauspielerinnen

Wien – Die Krise als Chance. Das klingt abgedroschen und schwer nach Euphemismus. Aber Jammern andererseits bringt auch nix. Anfangen heißt also Thomas Kampers Stück, das derzeit im Theater Drachengasse zu sehen ist. Für den vormaligen Volkstheater-Schauspieler, der dabei als Autor und Regisseur in Erscheinung tritt, ist es ein Wieder-Anfang: Seit 2001 schrieb und inszenierte er mehrere eigene Stücke (u. a. Jukebox), dann kam ihm die Ensemblearbeit (2005-2015) dazwischen. Die ist jetzt aber Geschichte, eigene Stückentwicklungen sollen die Zukunft sein.

Es ist ein tatkräftigerer Anfang, als er ihn seinen Figuren gönnt. Drei Schauspielerinnen, die nicht besetzt wurden (den kleinen Seitenhieb wollte Kamper sich wohl nicht verkneifen; per Hörspiel ist man im Vorzimmer des Vorsprechens live mit dabei), beschließen, sich aus der Welt zurückzuziehen. Sie wollen so ihren Unmut mit deren System zu erkennen geben und ihm mit von der Distanz geschärftem Blick dann etwas entgegensetzen. Denn: "Draußen ist das Geld, und das Geld ist die Lüge", klagen die feinsinnigen Künstlerinnenseelen.

Hier drinnen bei ihnen ist jedenfalls kein Geld. Und so finden sich die drei Möchtegern-Diven in einer Wohnküche mit Klo am Flur wieder. Mit dem Charme der pragmatischen Vorläufigkeit, die noch glaubt, dass sich die Dinge ändern, gar bessern, werden, hat Mathias Lenz die kleine Bühne hergerichtet. Als Zier des Substandards weiß Pi (Pippa Galli) hier mit inbrünstiger Grazie die Bohnen für den Kaffee, der später am Campingtisch getrunken werden soll, zu mahlen. Oder das Pulver von den dazu gereichten Kartoffelchips zu lecken.

Nobel geht die Welt zugrunde

Nicht minder fein die Umgangsformen von Li (Michaela Hurdes-Galli), die – ganz Dame von Welt und prämierte Schauspielerin von Wien – vor der Tür speibt, weil sie ihre Zigaretten auf leeren, aber weingefüllten Magen nicht verträgt. "Nüchtern zu sein ist auch eine Erfahrung", notiert sie sich später auf einem Pappteller, findet aber offenbar keinen rechten Gefallen daran.

Und dann wäre da noch Lu (Julia Schwarz), die mit reschem Charme ihr blumengemustertes Kleid lüftet, wenn sie breitbeinig ihren Platz und Tee mit Milch einnimmt. Neuerdings ist sie auch noch obdachlos, weil sie ihre Wohnung abgefackelt hat. Ohne Bedauern. In ihr Skizzenbuch malt sie Räume, die sie nicht anzünden kann. Wer gibt der Brandstifterin Herberge?

Was die drei im Leben Übriggebliebenen als heroischen Akt erträumen, wird über all dem immer mehr zur Nebensächlichkeit und sie fügen sich ins untätige Zeitvergehen. "Jetzt wird es kompliziert", heißt es nach einer Stunde. Dann ist das komödiantische Trauerspiel allerdings vorbei und passiert ist scheinbar nicht viel. – Welche ist das Gegenstück zur Tat? Die Untat oder die Untätigkeit?

Pate gestanden dafür haben Anton Tschechows Drei Schwestern (1901) und deren Traum vom besseren Leben, zu dessen Inangriffnahme jenen aber der Antrieb fehlt. Es war seine Kritik an der Unproduktivität und Wartehaltung der Intelligenzija. Ein Lehrstück, wie man es zu allen Zeiten brauchen kann.

Der Standard, 9.12.2015


Theaterblau/Bar & Co Theater Drachengasse: Anfangen

Anfangen … das kann manches Mal ganz schön schwierig sein. Denn wie? Und wo? Ganz von vorne? Aber was ist dann mit dem, was schon war? Drei Frauen ziehen sich zurück, weil sie neu anfangen wollen. Sie wollen so einiges hinter sich lassen. Das ist die sehr spannende Ausgangssituation des neuen Stücks von Thomas Kamper. Doch sind die Frauen „real“ oder doch „nur“ Schauspielerinnen, die an einem neuen Projekt arbeiten. Viele Gedanken schossen DieKleinkunst-Redakteur Paul M. Delavos an diesem Abend durch den Kopf. Nicht alle wurden beantwortet, doch das tat der Begeisterung keinen Abbruch.

Es ist immer wieder erstaunlich, was in kleinen Theatern alles auf die Bühne gestellt wird. Für „Anfangen“ hat Mathias Lenz eine alte Wohnküche gewählt – so, wie man sie noch von den Großeltern kennt: Küchenschränke, Tisch, Sesseln, eine tickende Uhr und ein altes Waschbecken mit Wasserhahn, aus dem auch tatsächlich Wasser fließt. In diesem Bühnenraum spielt sich alles ab, nur durch kleine Veränderungen wird angezeigt, dass man sich jetzt doch eigentlich wieder woanders befindet. Doch halt, alles spielt sich dort nicht ab: die Anfangsszene hört das Publikum nur. Schauspielerinnen warten auf ein Casting, unterhalten sich, stimmen sich ein. Und dann gibt es auch noch den Gang vor der Wohnung, respektive vor dem Theatersaal – auch von den Geschehnissen dort ist das Publikum ausgeschlossen.

Zu Beginn dreht sich alles um den Anfang. „Was wir brauchen, ist ein Anfang!“, heißt es da. Doch der wird nicht gefunden von den drei Frauen – sind es wirklich Schauspielerinnen, die an einem neuen Projekt arbeiten, verbunden durch Tschechows „Drei Schwestern“, in denen zwei von ihnen einmal gespielt haben, oder doch drei Frauen, die in ihrem realen Leben neu anfangen wollen. Die Grenze zwischen Theater und Theater auf dem Theater verschwimmt. Doch gerade das macht das Stück so spannend und es beeindruckt, wie die drei Schauspielerinnen sich mühelos durch den dichten Text manövrieren und es dabei auch nicht an Körpereinsatz mangeln lassen. Sie erweisen sich alle als die ideale Besetzung und geben jeder Figur ganz eigene Manierismen. Da erwies es sich sicherlich auch als hilfreich, dass Thomas Kamper nicht nur den Text schrieb, den man ob seiner Dichtheit fast öfters hören müsste, sondern auch die Regie verantwortete. Er inszenierte ein Kammerspiel, das zwischen Tragik und Komik schwankt.

Pi (Pippa Galli) ist die Diva mit weißem Schal, die Chips – um auf ihre Figur zu achten –nur ableckt, dem Putzwahn verfallen ist und den Milchverbrauch von Lu mit dem Lineal nachmisst. Li (Michaela Hurdes-Galli) im Gegensatz dazu ist eine bodenständige Alkoholikerin, die aber doch versucht, die Sache am Laufen zu halten, indem Sie einen Anfang sucht. Sie merken, obwohl wir uns schon lange mittendrin befinden, geht es noch immer um den Anfang. Der wird auch nicht mehr wirklich gefunden, denn plötzlich überschlagen sich die Ereignisse: denn Lu (Julia Schranz), die schon den ganzen Abend nicht wirklich zu fassen ist, entpuppt sich als Pyromanin, die ihre Wohnung abgefackelt hat. Nun möchte Sie bei Pi oder Li einziehen – die Sache wird so gelöst, dass sie abwechselnd bei ihnen schläft. Und so teilen Pi und Li die Angst, dass Lu vielleicht auch ihre Wohnung abfackeln könnte …

Doch wie das Stück endet, sei hier nicht verraten. Wohl aber, wie der Abend endete: mit anhaltendem Applaus des Premierenpublikums für das komplette Team!

www.drachengasse.at

diekleinkunst.com, 18.12.2015


Spielplan Januar 2022